Eberhard Wächter, Herkules I und II, Detail aus folgendem

Diese ersten Kleinen Kunstgeschichten starten mit römischen Frühwerken Eberhard Wächters, gefolgt von Jugendarbeiten Joseph Anton Kochs in Stuttgart und der Schweiz. Bei Koch taucht erstmals im Kontext der Wahl seines Lebensweges das Thema „Herkules am Scheideweg“ auf. In Rom werden der Schwabe Wächter und der schwäbisch geprägte Tiroler Koch Freunde. Der alte Koch widmet seine sarkastische, 1835 erscheinende Schrift „Moderne Kunstchronik … oder die Rumfordische Suppe“ dem Maler Guardian, also Eberhard Wächter. 

Dieser ist seit 1808 zurück in Stuttgart und malt dort Mitte der 1830er Jahre zweimal „Herkules am Scheideweg“. Warum wird die Erstfassung ein Gründungswerk der Vaterländischen (= Württembergischen) Sammlung und damit ein Grundstein des 1843 eröffneten Museums der bildenden Künste? – Im ziemlich schwäbischen Doppelsinn des Wortes „bilden“ kommt im ersten Museumsnamen das Tun des Künstlers sowie das Sich-bilden des Betrachters zum Ausdruck.

Hängt die Themenwahl vielleicht auch mit der protestantischen, pietistischen Frömmigkeit zusammen, die zu den Zwei-Wege-Bildern führt? Mal mehr, mal weniger mit Bibeltexten ausgestattet? Immer aber in Parallele zu Herkules, der sich auch zwischen einem breiten und einem schmalen Weg zu entscheiden hat.

Eberhard Wächter, Herkules I und II – erstmals vereint

Eberhard Wächter, Ein schwäbischer Herkules, um 1835, Staatsgalerie Stuttgart

Eberhard Wächter, Herkules am Scheideweg, um 1835, Bleistift, 21,2 x 25,6 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.Nr. 2584  

Der in Stuttgart alt gewordene und in seiner Seriosität anerkannte Künstler erhält um 1835 den Auftrag von der Direktion der Kunstschule, der er selbst mit einem gewissen Widerwillen angehört, einen Herkules am Scheideweg zu malen. Es geht um die Wahl des richtigen Lebensweges. So wie es auch im schwäbischen Pietismus um die Entscheidung geht zwischen dem breiten Weg des Lasters und dem schmalen der Tugend. Letzterer ist mühselig, verheißt dafür aber künftiges Seelenheil und ewiges Leben.

Bereits in der Bildskizze befinden sich wie in den betrachteten Darstellungen des Pietismus die Tugend und ihr Weg in steile Höhen rechts und ihr Gegenteil links. Der jugendliche Halbgott steht entspannt bei einer Weggabelung mit entsprechender Herme. Als Zeichen seiner künftigen 12 Heldentaten findet sich rechts die Keule, in halber Höhe ein ferner Löwe und ganz oben ein angedeuteter Ruhmestempel. Zum Schwäbischen passend, ist das Laster ziemlich züchtig und nur wie das Gewand etwas flatterhaft.

Eberhard Wächter, Herkules I – ein Gründungswerk der Vaterländischen Sammlung und damit der Staatsgalerie Stuttgart

Eberhard Wächter, Ein schwäbischer Herkules, um 1835, Staatsgalerie Stuttgart

Eberhard Wächter, Herkules am Scheideweg, Öl auf Leinwand, 87 x 109 cm, um 1835, Staatsgalerie Stuttgart, Inv. Nr. 697 

Erwin Panofsky 1930, S. 142, Abb. 97, nobilitiert das Werk Wächters, indem er es in seine berühmte Abhandlung aufnimmt. Der Künstler schließt sich an die Tradition an, die beiden Gegenspielerinnen im Profil zu zeigen und den Helden frontal und noch etwas unschlüssig in der Mitte. Links stehen für Müßiggang Wiese, Blumen, ruhig gleitende Schwäne sowie rudernde und Leier spielende Amoretten. Rechts gibt es felsiges Gestein, auch einen winzigen Löwen und auf einem Hochplateau eine Palme statt des dort erwarteten Tempels. 

Das Gemälde des greisen, sich selbst kritisch sehenden Künstlers ist kein großes Meisterwerk, aber kulturgeschichtlich, auch in Parallele zu pietistischen Darstellungen, aufschlussreich. Hier ist daran zu erinnern, dass Kopien weltbekannter antiker Venusdarstellungen im Stuttgarter Schlossgarten um 1850 so sehr zu öffentlicher und kirchlicher Empörung führen, dass sie für Jahrzehnte nach Schloss Rosenstein quasi ins Exil verbannt werden. 

Herkules am Scheideweg II

Eberhard Wächter, Ein schwäbischer Herkules, um 1835, Staatsgalerie Stuttgart

Eberhard Wächter, Herkules am Scheideweg, Pinsel in Braun über Bleistift, 21,9 x 27,7 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.Nr. 3771

Ob Eberhard Wächter selbst oder andere mit seiner Behandlung des Themas nicht ganz zufrieden sind, wissen wir nicht. Denkbar wäre genauso, dass Anerkennung zu einem Neuauftrag führt. Jedenfalls gibt es ein zweites Gemälde, von dem man bisher nur durch diese Bildskizze eine Vorstellung besaß. Es befindet sich in Privatbesitz und wird hier erstmals veröffentlicht. 

Schon in dem Bildentwurf dreht der Künstler die Haltungen um: der Kopf des Helden nun im Profil und die Allegorien halb en face. Hinzu kommt als Ergänzung ein kleiner Amor, der Herkules die Keule, Symbol seiner großen Taten, entwinden will. In der Ferne gibt es noch den kleinen Löwen, nicht aber die Gestalten des genüsslichen Lebens. Auf der Herme zur Kennzeichnung der Weggabelung hat Wächter einen Hermesstab skizziert.

Eberhard Wächter: Herkules II – verschollen und wieder aufgetaucht

Eberhard Wächter, Ein schwäbischer Herkules, um 1835, Privatbesitz

Eberhard Wächter, Herkules am Scheideweg, um 1835, Öl auf Leinwand, 73 x 85,5 cm, Privatbesitz

Auch die Zweitfassung ist kein Schlüsselwerk des späten Klassizismus, aber eine Arbeit, die eine genauere Betrachtung im folgenden Beitrag verdient. Vgl. als Einstimmung Wächters schwäbischen Landsmann und Zeitgenossen Friedrich Schiller, in dessen Gedicht „Das Ideal und das Leben“ von 1795 es heißt:

„Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden / Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl …“