Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend bei einer Rückreise nach Deutschland Ende Juni 2018. Dieser Pilgerort ist auch einer von Architekturfans aus aller Welt. Allein schon sein Name lässt das Herz aller höher schlagen, die an Architektur der Moderne interessiert sind. Die Kapelle fanden wir so faszinierend, dass wir anders als geplant in Ronchamp über Nacht blieben.

Die Zahl von 5 Beiträgen erklärt sich dadurch, dass sich im Netz nicht allzu viele brauchbare Fotos von Ronchamp finden.

Annäherung von Süden

Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend

Ronchamp, Kapelle Notre Dame du Haut – Unsere Liebe Frau von der Höhe. Geplant war ein kurzer Abstecher gegen Abend: Ankunft 17:30 Uhr. Aber nicht nur eine halbe Stunde, sondern bis 19 Uhr ist alles offen. Kaum Besucher, ab 18 Uhr sind wir allein.

Was für ein Wiedersehen nach 63 Jahren! Welch überwältigender Eindruck: Monumentalität nicht als Zeichen absoluter Größe, sondern als Ausdruck des Zusammenwirkens von Massen und Formen. Der Bau, den ich als mächtig und groß erinnere, erweist sich realiter als eher klein, aber von plastischer, fast bildhauerischer Wucht.

Man nähert sich der Wallfahrtskirche wie hier von unten kommend und zunächst ihrer Südseite, die von zahlreichen Wandöffnungen geprägt ist.

Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend

Woran erinnert mich nur das Ganze? Plötzlich eine Idee: Könnte nicht die Arche Noah ähnlich gewirkt haben, nachdem sie auf dem Berg Ararat aufsetzte und dort nach der Sintflut weithin sichtbar liegen blieb? Aus einem solchen schiffsartigen Bauch, mit einem Dach, dessen Kontur an eine Reling erinnert, hätten sich auch viele Tierpaare über das Land verteilen können.

Entstehungsgeschichte

Das Städtchen Ronchamp, nördlich von Belfort am Fuß der Vogesen gelegen, ist durch diesen Bau weltweit ein fester Begriff. Er erhebt sich auf dem Hügel Bourlémont etwa 120 m über dem Ort. In jeder Richtung bietet sich ein weiter Blick über das Land. Daher ist diese Waldlichtung wohl schon eine Kultstätte zu keltischer Zeit. Seit vielen Jahrhunderten ein marianischer Wallfahrtsort, wird ein älterer Kirchenbau im Zuge der Französischen Revolution als Stall und Scheune zweckentfremdet.

40 Familien aus Ronchamp schließen sich daraufhin zusammen und erwerben Kirche und umliegendes Gelände. Noch heute befindet sich alles in Privatbesitz. Eigentümerin ist inzwischen die „Association Oeuvre Notre Dame du Haut“ kurz: AONDH. Im 19. Jh. entsteht ein Neubau. Nach Blitzschlag abgebrannt, folgt in den 1920er Jahren eine „gotische“ Kirche. Der strategisch wichtige Hügel wird von Deutschen im 2. Weltkrieg besetzt, dann heiß umkämpft und im September 1944 befreit. Ca. 250 Tote und 700 Verletzte sind zu beklagen und auch die Zerstörung der Kirche.

Le Corbusier

Ein Neubau soll entstehen. Fortschrittliche wenden sich an Le Corbusier (1887-1965), den progressivsten Architekten der Zeit. Dieser reagiert anfänglich mit Unwillen, vielleicht auch aus seiner Haltung als Agnostiker. Nach einem Besuch aber im Jahr 1950 wandelt sich die Ablehnung in Begeisterung. Die Freiheit der Gestaltung, die phantastische Lage mit Sicht überall hin und Sichtbarkeit von überall her befeuern das Interesse. 1951 legt Le Corbusier den ersten Entwurf vor: Baubeginn 1953, Weihe am 25. Juni 1955. Heiß diskutiert, ist seither Ronchamp nicht nur ein Pilgerort für Gläubige, sondern ebenso weltweit für Architekturbegeisterte. Die kleine Kirche wird bald als Meilenstein der Moderne erkannt, als ihr berühmtester Kirchenbau. Seit 2016 ist sie UNESCO-Welterbe.

Nordseite mit Werktagseingang

Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend Nordseite

Man muss um den Bau mit seiner asymmetrischen Grundfläche von ca. 30 x 40 m herumgehen, um ihn betreten zu können. Zwischen den Rückseiten der beiden Zwillingstürme auf der Nordseite befindet sich der Werktagseingang. Sonst werden Kirchen meist von Westen her betreten, gegenüber von Altar und Chor, die nach Osten orientiert sind.

Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend Innenraum

Der erste Eindruck des Innenraums ist ein überwältigendes Erlebnis. Etwas höhlenartig ist die Stimmung, aber lichtdurchströmt. An der Altarwand ein Fenster, in dem eine Madonnenstatue im Gegenlicht steht, die deshalb vor lauter Helligkeit im Foto nicht zu sehen ist. Kleinste Wandöffnungen sind wie Sterne verteilt. Darunter ein schlichtes Holzkreuz ohne den Gekreuzigten.

Karg ist die gesamte Ausstattung. Nur rechts stehen auf einem niedrigem Betonsockel einige Sitzbänke, davor ein Weihwasserbecken. Seitlich fällt Licht durch ein hohes Fenster ein, das den roh aufgetragenen Sichtbeton zu plastisch lebendiger Wirkung bringt – fast wie eine sich bewegende Meeresfläche.

Ronchamp Innenraum vom Altar

Bauchig und schwer senkt sich die Decke dunkel herab beim Blick vom Altarraum in Richtung Westen. Rechts Lichteinfall vom Werktagseingang, hinten in die Wand eingelassen ein Beichtstuhlpaar.

Gedenkstätte und Ostseite

Ronchamp Stufenpyramide als Gedenkstätte

Zur Erinnerung an die Opfer des 2. Weltkrieges und speziell an einige hier von Deutschen Ermordete hat Le Corbusier im Osten der Hügelfläche eine kleine Stufenpyramide errichtet und daneben ein Friedensdenkmal mit Taube.

Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend Ostseite

Blick von der Stufenpyramide auf die Ostwand der Kirche, die einen eigenen, überdachten Altarbereich bietet für Gottesdienste im Freien.

Die Atmosphäre absoluter Stille und Ruhe löst den Wunsch aus, in Ronchamp zu bleiben und den Bau auch im Morgenlicht zu erleben.

Ronchamp – erster Eindruck gegen Abend: ein rundum beglückendes Erlebnis, das in einer schlösschenartigen Chambres-d’hôtes-Unterkunft inmitten eines prachtvollen Baumbestands eine angemessene Fortführung fand.