Reetdach eines Bauernhofs bei Stade – vorab einige Worte zum Fachwerkbau insgesamt. Er ruht auf moorigem Gelände und wie üblich auf großen Feldsteinen. Seine Grundlage sind die horizontalen Schwellbalken aus Eiche auf den Steinen. Darauf stehen senkrechte Balken, die sog. Ständer. Das gesamte Balkengerüst solch kellerloser Häuser kann Spannungen und leichte Verschiebungen aushalten.

Der Hausherr setzt den 1872 erbauten Resthof etappenweise wieder instand. Zuletzt hat er diese westliche, etwas verzogene Front zur Straße hin weitgehend ins Lot gebracht. Manche Balkenteile und Ziegelsteinfüllungen waren auszutauschen.

Seit wenigen Wochen wird das Reetdach erneuert. Und zwar zum ersten Mal seit 149 Jahren.

In dieser ländlichen Abgeschiedenheit lässt sich‘s gut leben und feiern.

Der alte Bau mit altem Dach beim Alten Land

Reetdach eines Bauernhofs bei Stade: Dezember 2015

Das ehemalige Bauernhaus mit lädiertem, moosig gewordenen Dach Ende 2015. Umgeben von altem Baumbestand, liegt es auf einer Warft, die es vor Überschwemmungen schützt. Auch auf seiner Ostseite gibt es Entwässerungsgräben, die aber in unserer Zeit und Klimasituation fast immer trocken sind. Die Bodenfeuchte reicht noch für Schilfwuchs aus.

Das Reetdach ließ sich nicht mehr ausbessern und musste erneuert werden. Dabei stellen die Dachdecker fest, dass das ursprüngliche Dach von 1872 bis heute gehalten hat. Ein solches Alter von anderthalb Jahrhunderten erreichen Reetdächer sonst fast nie.

Reetdach eines Bauernhofs bei Stade: August 2021

Dreiviertel der Arbeit ist bereits getan. Nach Regentagen sind die Dachdecker wieder da. Vom Morgenlicht um 7:20 Uhr erhält das Dach einen rötlichen Schimmer. 

Das neue Reetdach ist viel dicker als das bisherige. Der Schornstein muss deshalb noch erhöht werden.

Reetdach eines Bauernhofs bei Stade: neu und alt

Das neue Dach ist in klassischer Weise mit einem First aus gepresstem Heidekraut versehen.

Neues Reetdach: 45 cm stark

Die Handwerkskunst und Präzision der Reetdachdecker sind nur zu bewundern.

Die Dachstärke beträgt nun klassische 45 Zentimeter. Dank der steilen Dachneigung wird selbst bei starkem Regen nur die Oberfläche der Schilfhalme durchfeuchtet. Die Wassertropfen gleiten von Halm zu Halm und fallen dank des starken Dachüberstands in geschlossener Linie direkt in ein Kiesbett. Selbst bei schlechtem Wetter kann man trockenen Fußes an der Hauswand entlang gehen. Eine Dachrinne ist überflüssig.

Diese uralte, anspruchsvolle Bauweise gehört seit 2014 zum bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes.

Der neue Zugang zur ehemaligen Tenne. Darüber der Hinweis, dass Johan Jungclaus und seine Frau Metta Maria das Haus am 18. Juni 1872 bezogen haben.