El Greco im Grand Palais in Paris 2019 – nach Leonardo und Degas können wir der großartigen, uns entrückten Welt der Gegenreformation begegnen. Sie wird dargestellt von einem Griechen, den Italien zum Künstler formte und der dann für immer in Spanien tätig war. El Grecos Werk und Welt wird in Paris eindrucksvoll vergegenwärtigt.
Was für ein Wiedersehen im Grand-Palais! Mit etwa 17 Jahren haben wir uns im Gymnasium mit Schiller zu befassen. Zu Don Karlos präsentiert uns der Deutschlehrer die Novelle „El Greco malt den Großinquisitor“ von Stefan Andres (1906-70). Das geschriebene und das gemalte Werk sowie schlechte SW-Fotos dienen als Basis für einen „Besinnungsaufsatz“. An meinen Text erinnere ich mich nicht, aber an mein ziemlich mühseliges Grübeln über das Bild.
Damals weiß ich nichts von Verdis Don Carlos nach Schiller. Wir erlebten ihn im letzten Jahr in Paris in der Opéra Bastille und vor wenigen Tagen in Stuttgart. Übertroffen werden diese Aufführungen von Peter Steins Salzburger Inszenierung von 2013, die wir im TV sahen. Mit Verdis großartig schrecklichem Großinquisitor im Ohr, vor dem selbst König Philipp II. einbricht, hätte ich gewiss für dieses Gemälde in meinen Jugendtagen ein ganz anderes Verständnis gezeigt.
Ausbildung in Italien
Christus treibt die Händler aus dem Tempel, um 1575, Minneapolis Institute of Art
Domínikos Theotokópoulos, genannt El Greco (Kreta 1541-1614 Toledo), ist Grieche, als Künstler weitergebildet ab 1567 in Venedig und 1570 in Rom. Seit 1576 lebt er in Toledo. Geprägt von verschiedenartigen Kulturen, entwickelt er in Spanien seinen einzigartigen Stil, der ihn zu einem späten Vollender der Renaissance und Repräsentanten des spanischen Manierismus macht. Bald vergessen, wird er in der Moderne wiederentdeckt. Besonders beim jungen Picasso und bei Francis Bacon hinterlässt das nachhaltige Spuren.
In diesem fulminanten, in Rom gemalten Frühwerk orientiert Greco sich an Tizian und Tintoretto. Er zollt seinen Vorbildern Tribut. Unten rechts huldigt er Tizian, Michelangelo, Giulio Clovio und wohl Raffael, indem er sie zu Zeugen der Tempelreinigung macht.
Christus treibt die Händler aus dem Tempel, um 1600, London, The National Gallery
In seiner Spätzeit greift Greco die römische Komposition nochmals auf. Er steigert ihre Wirkung enorm durch den Verzicht auf Randszenen.
Ein frühes spanisches Meisterwerk
Himmelfahrt Mariens, 1577-79, The Art Institute of Chicago
Da in Italien der gewünschte Erfolg sich nicht recht einstellt, geht Greco nach Spanien. Eines seiner ersten Hauptwerke in Toledo, der damals führenden Stadt, ist das riesige Altarbild von Santo Domingo de Antiguo. Damit präsentiert er sich als ein Meister. Die furiose Komposition und raffinierte Farbigkeit sind noch heute von mitreissender Wirkung in der Nähe wie aus der Ferne.
Ein Blick in die Ausstellung des Grand Palais zeigt die Dimension der „Himmelfahrt“.
Anbetung und Höllenvision in einem mit Philipp II.
Anbetung des Namens Jesu (auch: Traum Philipps II.), um 1578-79, Real Monasterio de San Lorenzo de El Escorial
Engelscharen auf sich öffnenden Wolken umkreisen anbetend den Namen Jesu. Der erscheint als Vision in der üblichen Schreibweise IHS vor einem sonnenartigen Grund. Die untere Bildhälfte ähnelt einem Jüngsten Gericht. Die Frommen beten bis in die Ferne den Namen an. Die Ungläubigen landen rechts im Höllenrachen oder in der Mitte im Blutstrom. Zwischen hohen Klerikern kniet König Philipp II. (1527-1598), der unerbittliche Kämpfer für die katholische Kirche und Unterstützer der Gegenreformation. Ihm scheint das Bild nicht behagt zu haben. Greco erhält noch einen einzigen Auftrag vom König und danach keinen mehr.
Hl. Veronica, um 1580, Toledo, Museo de Santa Cruz
Die Heilige präsentiert das Tuch, mit dem sie Christi Schweiß während der Kreuztragung abwischte. Darauf soll sich das Vera Icon, das wahre Bild Christi, abgezeichnet haben. Greco veranschaulicht mit seiner Malkunst ein Wunder des Glaubens durch diejenige Heilige, die ihren Namen danach trägt.
Entkleidung Christi (El Expolio), um 1579-80, National Trust Collections, Upton House, The Bearsted Collection
Das Gemälde ist ein Beispiel für die häufige Wiederholung eigener Kompositionen, mit der Greco die Nachfrage nach seiner Kunst oftmals befriedigt. Vor dem Gedränge auf Golgatha steht Christus, leidensbereit und schicksalsergeben. Sein Gewand ist ein koloristisches Fanal. Neben ihm steht der römische Hauptmann, den das Erlebnis der Kreuzigung bekehren wird. Die Art seiner Darstellung lässt vermuten, dass es sich um das Porträt eines Zeitgenossen handelt. Er könnte der Auftraggeber des Bildes ein. Vorne betrachten die drei Marien betreten die Vorbereitung der Kreuzigung.
Selten: eine Fabel, wie in niederländischer Kunst
Die Fabel, um 1585, 8th Earl of Harewood, Harewood House Trust
Es handelt sich wohl um einen moralisierenden Stoff. So wie das Wachs sich leicht entzündet, wäre das auch bei den Leidenschaften möglich. Noch liegt der Affe an der Kette. Das Tierische könnte sich aber auch frei ausleben. Vermutlich ist es ein Thema im Sinne der Gegenreformation.
Hl. Ludwig als König des 16. Jahrhunderts
Saint Louis und sein Page, 1585-90, Paris, Louvre
Der tief religiöse König Ludwig IX. von Frankreich (1214-1270), der bei seinem 2. Kreuzzug in Karthago stirbt, wird bereits 1297 heilig gesprochen. In Spanien wird er besonders verehrt als Sohn der Bianca von Kastilien. Hier erscheint er als hoheitsvoller Herrscher in prachtvoller Renaissancerüstung. Säule und dramatischer Himmel steigern die Wirkung. Die individuellen Züge könnten von einem Zeitgenossen Grecos stammen, der vielleicht Luis hieß.
Christus im Garten Gethsemane, um 1590, Toledo (Ohio), Toledo Museum of Art
In wild dramatischer Landschaft und Nacht bittet Christus, dass der Kelch, den ein Engel bringt, an ihm vorübergehen möge. Entgegen ihrer Zusage schlafen die Jünger. In der Ferne führt Judas bereits die Schergen heran.
Hl. Petrus, um 1595-1600, Washington, The Phillips Collection
Der Jünger Petrus hat Christus mehrfach verraten. Gerne wird er auch sonst als großer Büßender dargestellt. Dabei wirkt er wie ein Pendant zur Büßerin Maria Magdalena, die im Hintergrund mit ihrem Schminkgefäß, dem Sinnbild der Eitelkeit, skizziert ist. Das Gemälde ist ein Beispiel für Grecos beliebte Heiligendarstellungen und die spanische schuldbewusste Frömmigkeit, die die Gegenreformation schürt.
Hl. Martin und der Bettler, 1597-1600, Washington, National Gallery of Art
Das prachtvolle, große Bild ist Titelmotiv der Pariser Ausstellung. Es zeigt Martin von Tour, der als römischer Soldat seinen Mantel mit einem Bettler teilt. In dem schlanken Hochformat ist der Bettler aber kein elende Gestalt wie üblich, sondern ein schöner junger Mann nach Grecos Gusto, der ausgeraubt und am Bein verletzt wurde. Martin erscheint hoch zu Ross über der fernen Kulisse von Toledo als gleichaltriger Höfling der Zeit Philipps II.
Ein Jahrhundertbildnis
Kardinal Ferdinando Nińo de Guevara, um 1600, New York, The Metropolitan Museum of Art
Der Kardinal (1541-1609), gleichalt mit Greco, zeigt sich als ein Mann von Macht. Ganzfigurig wie bei Papstbildnissen, wirkt er jedoch in seiner prachtvollen Robe fast wie verborgen. Dünn scheint er zu sein, die Hände sind hager, die Linke umkrallt die Armlehne. Der Blick ist nicht auf den Betrachter gerichtet. Er geht vielmehr hinter der damals neuartigen Bügelbrille etwas lauernd zur Seite. Kühle und Distanz umgibt die Figur. Die Unerbittlichkeit seines Tuns als Großinquisitor von 1599-1602 ist zu ahnen, ebenso Schrecken und eiserner Wille. Ein großes Meisterwerk im Schaffen Grecos und der europäischen Porträtkunst.
Die Öffnung des 5. Siegels, auch: Vision des Hl. Johannes, 1610-14, New York, The Metropolitan Museum of Art
Die Szene aus der Apokalypse des Johannes, bei Grecos Tod unvollendet, ist ursprünglich ca. 4 m hoch. Sie wird oben um 175 cm, links um 20 cm beschnitten. In diesem rätselhaften Spätwerk mit der großartigen deklamatorischen Gestik des Johannes erinnert sich Greco an seine römische Auseinandersetzung mit Michelangelos Ignudi der Sixtinischen Decke. Hinterfangen von gelben und grünen Tüchern, könnten die nackten Gestalten in Beziehung zum Jüngsten Gericht stehen. Ein großartiges Fragment, das um 1900 ein starkes Echo in Paris auslöst, besonders in Picassos „Demoiselles d‘Avignon“ und in Delaunays „La Ville de Paris“.
El Greco im Grand Palais in Paris – das Warten in der langen Schlange hat sich wirklich gelohnt.