Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes durch bayerische Truppen um 1809, Bleistift auf Papier, 57,2 x 159,8 cm, Staatliche Graphische Sammlung München, Inv.Nr. 18874 Z, Foto Gunnar Gustafsson

Die Münchner Graphische Sammlung besitzt gut 800 Werke von Albrecht Adam. Darunter gibt es einige Großformate: im Rückgriff auf Skizzen des Russlandfeldzuges von 1812 eine Schlacht von Borodino und den Übergang über den Wop sowie SULTAN MAHMUD in einer Stutenherde bei Scharnhausen, die ich bereits bekannt machen konnte. Bisher unveröffentlicht ist auch dieser Bildentwurf eines Kampfes zwischen Bayern und Österreichern um ein Dorf. Albrecht Adam hat dazu mindestens 8 Papierbogen zusammengeklebt, um vermutlich die Größe des geplanten Gemäldes zu erreichen. Leider ließ sich der Ort der kriegerischen Auseinandersetzung nicht bestimmen. Auch sind die Fragen nach Ausführung und Entstehungszeit ungeklärt. 

Der überkommene Bildtitel mit dem Zusatz „um 1809“ deutet auf den Fünften Koalitionskrieg hin. In der Österreichisch-Französischen Auseinandersetzung hat Bayern auf der Seite Napoleons zu kämpfen. Daran erinnert Adam auch mit seinen vorangehenden Regensburg-Bildern von 1840. Deshalb lasse ich den Bildentwurf hier folgen. Aber keine der überlieferten Schlachten um Regensburg ist mit dieser dörflichen Situation in Verbindung zu bringen. – Ich hoffe, dass vielleicht Ortskundige, Militärhistoriker und am Ende ein glücklicher Besitzer des ausgeführten Gemäldes sich melden werden. 

Adam stellt die Handlung friesartig dar. Es wechseln sich, mehr oder wenig ausgearbeitet, Gruppen- und Einzelszenen ab. Darüber befinden sich, z. T. nur sehr flüchtig skizziert, Bauernhäuser und ein kompakter kleiner Kirchenbau mit spitzbogigem Fenster an der Fassade und einem niedrigen Viereckturm. Gemäß unserer Leserichtung folgen nun Details.

Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes um 1809, Detail des Münchner Bildentwurfs

Eine geschlossene Kampfszene eröffnet links die Szenenfolge. Oben wird ein Kanonenschuss gezündet. Vorne am Bildrand ziehen zwei Pferdepaare mit je einem Reiter vermutlich ein weiteres Geschütz den Hang hinauf. Rechter Hand hält hinter einer Pferdeleiche ein Soldat ein erregtes Pferd, dessen Reiter dahinter am Boden liegt. 

Links der Mitte ein Hauptmotiv der Komposition zuseiten einer Kanone: vier Offiziere stürmen nach rechts hinten los mit gezogenen Säbeln. Es folgt ihnen dicht gedrängt, aber nur summarisch skizziert, ein Pulk von Fußsoldaten. Dahinter eine Reihung von Helmen. Die mittlere Gestalt mit ihrem fragenden Gesichtsausdruck ist als einzige des ganzen Blattes schattiert und wohl die Schlüsselfigur dieses Gefechts.

Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes um 1809, Detail des Münchner Bildentwurfs

Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes: Dem Detail folgt das Hauptgeschehen in der Blattmitte. Alles drängt zur Anhöhe mit den strohgedeckten Bauernhäusern hin. Dort spielen sich in halber Ferne genau gezeichnete individuelle Kampfszenen ab. Vorne erkennt man, dass das Geschütz von einem Pferdegespann im Galopp gezogen wird. Der Reiter auf dem linken Pferd schwingt die Peitsche. Vor dem Geschütz ein flüchtig gekennzeichneter Reiter mit gezogenem Säbel.

Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes um 1809, Detail des Münchner Bildentwurfs

Herangezoomt sind dramatische Einzelszenen auszumachen. Links schießt ein Kavallerist auf einen gestürzten Österreicher. Zeitgleich geht ein Schuss los aus dem Fenster des Bauernhauses. In der Mitte hält ein Reiter mit der Rechten einen gefangenen Infanteristen, in der Linken den Säbel drohend gezogen. 

Daniel Hohrath M.A., Kurator des Bayerischen Armeemuseums in Ingolstadt, der schon zu den vorangehenden Regensburg-Bildern hilfreiche Erläuterungen gab, danke ich hier für den Hinweis, dass die beiden Infanteristen „noch den österreichischen Lederhelm aufhaben, der seit 1806/07 nach und nach gegen den Tschako ausgetauscht wurde. Das  nahm aber mehrere Jahre in Anspruch, sodass die Szene der Datierung 1809 nicht widerspricht.“

Ein nahsichtiges Detail im Vordergrund rechts der Mitte: ein Bauer holt mit dem Schubkarren einen Verletzten aus dem Gefecht. Dieser trägt eine Kopfbinde, liegt auf Stroh und erhält von einem bayerischen Kameraden behutsam etwas zu trinken.

Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes um 1809, Detail des Münchner Bildentwurfs

Rechts von der Schubkarrenszene folgt das letzte Bilddrittel. Vorne ist ein erschöpfter oder verletzter Reiter zu sehen. Außen steht ein weiteres Pferdepaar. Dazu Hohrath mit geschulten Augen: „An der Schabracke des bayerischen Pferdes ganz rechts ist der gekrönte Namenszug ‚MJK‘ zu erkennen, also sind es schon königlich bayerische Truppen nach 1806, was dann ebenso auf 1809 hinweist. Welches Gefecht oder welche Schlacht von 1809 dargestellt wurde, könnte man vielleicht über die Kriegsgeschichte noch herausbekommen (Schlachten von Abensberg oder Eggmühl, Regensburg oder ein kleineres Gefecht, oder schon Tirol?).“

Alle diese Orte habe ich überprüft und natürlich auch Adams Erinnerungen als Schlachtenmaler, habe aber nichts finden können. Dabei dachte ich, diese turbulente Brunnenszene müsste irgendwo auftauchen und eine Identifizierungshilfe sein. Fünf scheinbar halbverdurstete Reiter drängen zu dem Wasser hin, während hinter ihnen die Attacke der Kavallerie vorbeizieht.

Mit dem Jubel der Durstigen kontrastiert die Stille der Szene davor. Ein Schwerverletzter liegt am Boden. Ein Offizier prüft am geschlossenen Auge, ob er noch lebt. Das ist wohl der Fall, denn er scheint dessen Linke vor Schmerz wegschieben zu wollen. Links kniet ein Reiter mit einer Kopfwunde und hält etwas zu trinken bereit. Hinter dem Offizier steht ein Zivilist mit Zylinder und gefalteten Händen.

Albrecht Adam, Erstürmung eines Dorfes: ein gestalterisch schwieriges Jugenderlebnis?

Je länger ich mich mit der Komposition befasse, desto mehr kommt mir der Gedanke, dass sie nicht nur ein Jugenderlebnis von Albrecht Adam festhält, sondern vielleicht auch ein früher Versuch ist, ein solches Ereignis in eine Bildform umzusetzen. Seitlich sind relativ groß gesehene Gruppen zu sehen, in der Mitte dagegen in etwas größerer Ferne eine vorbeiziehende Truppe und einzelne Kampfszenen. Es entsteht der Eindruck eines wogenden Kampfes in Nah- und halber Fernsicht und dazwischen einzelne Ruhemomente. Später wird Adam Kampfszenen meist in größerer Distanz und besserer Überschaubarkeit ausführen. 

Könnte es sein, dass eine gewisse Überfülle und das wohl realitätsnahe Gedränge möglicherweise dazu geführt haben, dass die Bildidee nur Entwurf geblieben ist?! Wie sollte man sich z. B. den Durchzug in der Bildmitte in der Ausführung vorstellen. Sind die dortigen zahllosen Gestalten vielleicht deshalb so hauchdünn skizziert, weil sich in dem Gelände mit den Bauernhäusern gar kein Durchkommen für sie ergäbe?! – Helfen kann hier nur: das Auftauchen des nach dieser Vorarbeit entstandenen Gemäldes oder eine detaillierte Schlachtbeschreibung, die ein Historiker aufspüren könnte.