Fra Angelico und Filippo Lippi – nach dem 1. Beitrag mit einführenden Betrachtungen und Kommentaren zur bedeutenden Ausstellung „Florenz und seine Maler“ in der Alten Pinakothek (18. Oktober 2018 bis 27. Januar 2019) richtet sich jetzt das Augenmerk auf den zentralen Bildtyp der christlichen und damit auch der florentinischen Kunst im 15. Jh: auf die Darstellung der Madonna mit dem Kind. Zwei malende Mönche stehen für eine unglaubliche Fülle von Andachtsbildern, die der häuslichen Frömmigkeit dienten.

Fra Angelico

Fra Angelico und Filippo Lippi Galleria Sabauda

Fra Angelico (um 1395/1400-1455), Madonna mit Kind, Turin, Musei Reali, Galleria Sabauda.

Mit dem „Ave Maria“ im Nimbus, dem „Gegrüßet seist du, Maria“, wendet sich vielleicht auch der Gläubige an diese Madonna dell‘ Umiltà. Wiederum sitzt sie auf einem Kissen. Mit einer Demutsgeste blickt sie voller Liebe zu ihrem Kind. Fra Angelico, Mönch im Kloster von San Marco, präsentiert in der ihm eigenen leuchtenden Farbigkeit Maria als mädchenhafte Gestalt, die das Schicksal ihres Sohnes zu ahnen und zu akzeptieren scheint. Der Jesusknabe ist hier nicht ein Baby, sondern ein wissendes Kind, das keinerlei Beziehung zu seiner Mutter zeigt. Er ist vielmehr ganz auf den Betrachter ausgerichtet.

Vor dem klassischen Farbklang von Rot und Blau seiner Mutter erscheint dieser Jesusknabe weniger als kleiner Junge denn als künftiger Erlöser der Menschheit. Darauf deutet das Spruchband mit dem lateinischen Text „Ich bin das Licht der Welt …“ Seine Segensgeste gilt allen, in erster Linie aber einst dem Auftraggeber dieses Bildes und seinen Angehörigen.

Solche Andachtsbilder standen in der „camera“, dem Schlaf- und auch Wohnzimmer der Florentiner Patrizier. Zugleich war dieser Raum Ort von Geburt und Tod. Als repräsentativer Wohnbereich war er mit hochrangiger Kunst geschmückt, z. B. einer solchen Madonnentafel. Hinzu konnten Szenen aus dem Leben von Heiligen oder der antiken Mythologie kommen. Sie wurden gerne auf größeren, querformatigen Tafeln dargestellt. Wenn sie an den Wänden in Schulterhöhe aneinandergereiht waren, sprach man von „spalliere“ (spalla = Schulter). Sie zierten oft auch große Cassoni (= Truhen), in denen Hab und Gut untergebracht waren.

Fra Filippo Lippi

Welch ein Unterschied zum vorangehenden Bild: ein kräftiges Baby, noch etwas unbeholfen in der Wahrnehmung der Welt, der Blick verhangen, ahnungslos, was es mit dem Buch soll, die Zehen hochgezogen. Der Maler, gleichfalls ein Mönch, Fra Filippo Lippi, ist stärker auf Beobachtung der Wirklichkeit aus. Er hat in der Kompaktheit der Figur den epochalen neuen Ansatz des früh verstorbenen Masaccio (1401-1428) aufgenommen. Er verleiht den Gestalten Körperlichkeit und Gewicht.

Sieht man dieses hinreißende Kind, so darf man sich an einen Bericht des Künstlerbiographen Giorgio Vasari (1511-1574) erinnern. Er schildert 1550 und 1568, dass Fra Filippo sich in späteren Jahren beim Malen einer Madonna in sein Modell verliebte und mit ihm durchbrannte. Der Sohn kam um 1457 zur Welt und ist als „Philippchen“ seinerseits ein großer Maler geworden. Wir werden diesem Filippino Lippi noch begegnen.

Fra Angelico und Filippo Lippi Metropolitan Museum

Fra Filippo Lippi (um 1406–1469), Maria mit Kind und zwei Engeln, um 1435/40, New York, The Metropolitan Museum of Art, The Jules Bache Collection, 1949.

Im Gegensatz zu Fra Angelico besitzen die Gestalten dieses entschieden größeren Tafelbildes eine fast robuste Plastizität, eine schlichtere Farbigkeit. Mehr Wirklichkeitsnähe ist angestrebt und das trotz einer aufwendigen buntmarmornen Thronarchitektur. Neben dem Realitätsbezug äußert sich im Gesicht von Maria und den Engeln eine Wendung nach innen, eine Anflug von Melancholie. Als Symbol göttlicher Liebe und des künftigen Leidens Christi gibt die Rose in der Rechten der Madonna einen Hinweis zum Verständnis des Bildes.

Die Madonna Magnani Rocca

Einige Jahre später malte Fra Filippo Lippi eine weitere Madonna mit Kind, nun nicht thronend, sondern stehend als Halbfigur vor einem Brokatvorhang und einer rahmenparallelen Nische. Der Jesusknabe sitzt nicht, sondern liegt in den Armen Marias und hält sich an ihrem Schleiertuch fest. Wiederum ein ganz unkonventioneller Blick auf das göttliche Kind. Sehr menschlich spielt es mit seinem rechten Zeigefinger am Mund. Mit kleinen Augen schaut es groß in die Welt, ist noch ganz in sich befangen.

Fra Angelico und Filippo Lippi Magnani Rocca

Fra Filippo Lippi, Maria mit Kind, um 1445/50, Mamiano di Traversetolo (Parma), Fondazione Magnani Rocca.

Die junge, mädchenhafte Mutter mit schöner Haartracht und scheuem Gesichtsausdruck präsentiert uns ihr kräftiges Kind. In der Schlichtheit und Natürlichkeit dieser Handlung, nobilitiert durch den Goldstoff hinter ihr, liegt der Reiz der Darstellung und die Selbstverständlichkeit für die Anbetung der beiden Gestalten.

Weiße Flecken stammen von Deckenlichtern, die sich spiegeln. Hier wie sonst habe ich die Fotos nicht retuschiert, um in keiner Weise die Kunstwerke zu verändern.

Filippo Lippi – späte Andachtsbilder

Im Kontext der Ausstellung erstmals ein Andachtsbild mit freier Landschaft. Das kräftige Kind, in dessen ausgeprägten Zügen man bereits das Aussehen des erwachsenen Mannes ahnt, mag nicht sitzen. Mit entschiedener Armbewegung will es sich aufrichten, strebt zum Gesicht der Mutter. Angetan ist es mit einem Hemdchen, das unter dem Arm mit geriffelten Bändern gehalten wird. Ein erneutes meisterhaftes Beispiel für die Beobachtungs- und Darstellungsgabe von Filippo Lippi.

Fra Angelico und Filippo Lippi Alte Pinakothek

Filippo Lippi (um 1406–1469), Maria mit Kind, um 1460/65, München, Alte Pinakothek.

Immer wieder berührt mich die wunderbare Komposition diese Bildes, das mir seit Jahrzehnten vertraut ist. Auf Zeit ist es während der Ausstellung im Kontext anderer Werke des Künstlers und seiner Kollegen zu sehen. Das ist wie ein Geschenk, das eine vertiefte Wahrnehmung ermöglicht. Zuvor befanden sich die hl. Figuren in Idealräumen mit wertvollen Stoffen und Architekturen. Hier sind sie stattdessen gleichsam in oder vor freie Luft versetzt, vor eine felsige Landschaft. Das verrät eine neue Auffassung des Themas wie der Natur. Fast wirkt dieser Hintergrund wie eine Art Vorahnung von Leonardos Landschaftsräumen. Wunderbar ist der jugendliche melancholische Gesichtsausdruck Marias, die in eleganter Kleidung ihre Zeitgenossen zum Mitempfinden ihres künftigen Leidens und das ihres Sohnes animiert.

Die Madonna Medici-Riccardi

Eine erneute Steigerung der Empfindung, der emotionalen Ansprache der Gläubigen und Kunstfreunde. Der Jesusknabe umschlingt mit seiner kleinen Kinderkraft den Hals der Mutter. Er schmiegt seine Pausbacke an ihr schmales Gesicht, fühlt sich geborgen in ihren behütenden Händen und blickt ruhig in Richtung des Betrachters. Bekleidet nur mit einem halblangen Hemdchen, steigert dies das Intime des Bildes. Verschattet wird es dennoch trotz aller Kostbarkeit der mütterlichen Kleidung durch die Züge Marias, die von vorausgeahntem Schmerzen zeugen.

Fra Angelico und Filippo Lippi Madonna Medici-Riccardi

Filippo Lippi, Maria mit Kind, um 1465, Florenz, Palazzo Medici Riccardi.

Die Gesamtaufnahme der stattlichen Tafel zeigt, wie energisch das Kind zur Mutter drängt. Die Beiden sind von einer Muschelnische aus Pietra serena, dem in Florenz so beliebten Sandstein, und Buntmarmor hinterfangen, wodurch die Lebendigkeit ihres Zusammenseins und ihrer Farben einen noblen Fond erhält.

Dieses Meisterwerk Filippo Lippis schmückt heute den früheren Palast der Medici, ist neben Benozzo Gozzolis Kapelle und dem barocken Deckengemälde von Luca Giordano der Hauptanlass sich in den ursprünglichen Lebensraum der führenden Familie in Florenz zu begeben.

Raffael – nicht in der Ausstellung, aber im Museum

Ich kann nicht der Versuchung widerstehen, diese Reihe von Madonnenbildern des 15.Jh. um einen Höhepunkt der Hochrenaissance zu bereichern. Und das umso mehr, als das Bild auf Dauer in der Alten Pinakothek zu sehen ist – nur ein Geschoss höher als in der Ausstellung.

Raffael, knapp Mitte 20, einige Zeit in Florenz und sicherlich vertraut mit den berühmten Deutungen des Themas vor ihm, befreit in diesem Bildausschnitt Mutter und Kind von allem dekorativem Umfeld, stellt beide vor blauen Himmel. Noch mehr als je zuvor wird ihr inniger Umgang das zentrale Thema. Ganz ähnlich wie bei Fra Filippo Lippi schmiegt das Jesuskind seine Wange an die der Mutter, stützt sich leicht mit angewinkeltem Arm an ihr auf, blickt mit unglaublicher Zartheit und freundlich-kindlichem Ernst zum Betrachter.

Sie dagegen hat die Augen zu ihm hin geöffnet, ohne ihr Kind aus dieser Nähe sehen zu können, ist ganz beglückte mütterliche Empfindung mit Andeutung eines Lächelns. In dieser Gestalt gewordenen Mutterliebe und glücklichen Vertrautheit übertrifft Raffael alle Vorgänger, reizt zur emotionalen Anteilnahme, entzückt vor allem das 19. Jahrhundert. Große, reich geschmückte Nimben braucht er nicht mehr, um die Göttlichkeit dieser Gestalten zu vermitteln. Seine Kunst erhebt sie in der Steigerung des Menschlichen auf scheinbar leichte Weise in eine höhere Region.

Raffael Madonna Tempi Alte Pinakothek

Raffael Sanzio (1483–1520), Madonna Tempi, um 1507, München, Alte Pinakothek.

Das „Täubchen“ von König Ludwig I.

Maria sitzt nicht, thront nicht, steht nicht. In ruhigem Gang scheint sie unterwegs zu sein. Durch die Weite ihres gebauschten Umhangs kommt ihre schlanke, jugendliche Gestalt im schmalen Hochformat des Bildes besonders zur Geltung. Ihr Kind präsentiert sie nicht wie eine sorgenerfüllte Madonna, sondern mit der Natürlichkeit einer glücklichen Mutter, deren ganze Aufmerksamkeit ihm allein gilt. Mit aller Natürlichkeit sitzt es auf ihrer linken Hand, mit der Rechten hält sie es zart und fest zugleich. Alles in allem: nicht nur ein Glanzstück der Münchner Sammlung, sondern eines der ausdruckvollsten Darstellungen innigster Vertrautheit von Mutter und Kind in der europäischen Kunst.

20 Jahre hat König Ludwig I. von Bayern um dieses Werk gekämpft, bis die Familie Tempi im Jahr 1829 bereit war, es für einen stattlichen Betrag zu verkaufen. Es war das Lieblingsbild des romantisch gesinnten Königs, der es „mein Täubchen“ nannte.

FORTSETZUNG bis Beitrag 24.