Joseph Anton Koch und Napoleon: Detail aus folgender Radierung „Der Schwur der 1500 Republikaner“ von 1797. Auf der Fahne steht: „Französische Republik, eine unteilbare“ sowie „Siegen oder sterben“. – Anlass dieses Beitrags ist der Kauf des Blattes von einer Nachfahrin des Künstlers. Überdies erklärt sein Thema den Wunsch von John Flaxman aus dem Jahr 1802 nach Frieden in Europa. Das gilt auch jetzt.

Nordwestitalien, Ligurien, Provinz von Savona, Kleinstadt Cairo Montenotte. Bergregion um den Montenotte, Höhenzug Monte Legino (heute: Monte Negino), nicht weit entfernt ein Cippo, ein Gedenkstein für Napoleon. Es geht um eine Szene vom Beginn des Italienfeldzugs (Erster Koalitionskrieg). Die Truppen der République Française und die der verbündeten Armeen von Österreich und dem Königreich Sardinien-Piemont treffen aufeinander.

Generationsgenossen Joseph Anton Koch und Napoleon

Napoleon Bonaparte (1769-1821), noch etwas jünger als Joseph Anton Koch, ist seit 27. März 1796 Oberbefehlshaber der Italienarmee. Er übernimmt ein zahlenmäßig unterlegenes Heer mit 37.600 Mann. Es ist in einem miesen Zustand, schlecht ernährt, kaum bezahlt, von geringer Moral und unzureichend mit Waffen ausgestattet. Und zudem erschöpft von Gebirgskämpfen. 

Hier dagegen meint man fast den Ruf „Siegen oder sterben“ des Hauptmanns Antoine-Guillaume Rampon (1759-1842) vom 11. April 1796 zu hören und den Siegeswillen seiner Soldaten zu spüren. Er putscht sie mit der Alternative auf. Und sie leisten einen Eid während des Kampfes beim Banner mit der phrygischen Mütze. Auf ihr steht: Liberté.

English text

Detail from the following etching “The Oath of the 1500 Republicans” from 1797 – The banner reads: “French Republic, an indivisible one” and “Win or die”.

Northwest Italy, province of Savona, mountainous region around Montenotte, Monte Legino ridge. This is a scene from the beginning of the Italian campaign (War of the First Coalition). Troops of the République Française and the allied armies of Austria and the Kingdom of Sardinia-Piedmont are facing each other. Napoleon Bonaparte (1769-1821) has been commander-in-chief of the Italian army since March 27, 1796. He takes over a numerically inferior army with low morale.

You can almost hear Captain Antoine-Guillaume Rampon (1759-1842) shouting “Win or die” on April 11, 1796 and feel his soldiers‘ will to win.

Die Schwurszene, gezeichnet von Wicar

Jean Baptiste Wicar (1762-1834), Der Schwur …, Paris, Hôtel des Invalides, Musée de l‘Armée, Foto: © NPL – DeA Picture Library/ M. Seemüller / Bridgeman Images

Dieses Blatt, basierend wohl auf einer Skizze vor Ort, ist die Vorlage für folgende Radierung, die 1796 in Florenz entsteht. Der mühsam lesbare Text stimmt mit dem folgenden überein.

This sheet „The Oath …“, probably based on a sketch made on site, is the model for the following etching. 

Wicars Radierung, ausgeführt in Florenz

Joseph Anton Koch und Napoleon: die Darstellung von J. B. Wicar

Jean-Baptiste Wicar, Der Schwur …, 1796, Radierung, 20,8 x 30,2 cm, bez. u. l. „Wicar inven. et fecit florentiae“. Der Haupttext lautet übersetzt: „Den Verteidigern des Vaterlandes / Zahlreiche Feinde attackieren am 21. Germinal an 4.e [= 11. April 1796] die von 1500 Franzosen besetzte Redoute von Montenesino. Der Chef der Brigade Rampon lässt sie inmitten des Feuers den Eid schwören, sie bis zum Tod zu verteidigen. Sie schwören es für die Republik und den Ruhm“, Cambridge MA, The Harvard Art Museums, Inv.Nr. 2018.303, Foto Museum.

So wie später Albrecht Adam hat Wicar die Funktion, Kriegssituationen bildlich festzuhalten. Er gibt die Schwurszene inmitten des Kampfes wieder. Die Radierung führt er in meiner Lieblingsstadt Florenz aus. Sie gelangt in Kochs Hände und inspiriert ihn zu einer aquarellierten Zeichnung. Der junge Tiroler ist damals seit gut anderthalb Jahren in Rom und noch begeistert von der République Française.

Wicar ist ein Schüler von Jacques-Louis David. Er und Koch lassen erkennen, dass beide mit Davids Hauptwerk vertraut sind, mit dem „Schwur der Horatier“.

The main text reads: “To the defenders of the fatherland / Numerous enemies attack the redoubt of Montenesino, occupied by 1500 Frenchmen, on the 21st Germinal an 4.e [= April 11, 1796]. In the midst of the fire, the head of the Rampon Brigade made them swear an oath to defend it to the death. They swear it for the Republic and for glory”, Cambridge MA, The Harvard Art Museums, inv. no. 2018.303, Photo Museum.

The etching came into Koch’s hands and inspired him to create a watercolor drawing. Wicar was a student of Jacques-Louis David. He and Koch reveal that they are both familiar with David’s main work, the “Oath of the Horatii”.

Die bekannteste Darstellung eines Schwurs

Joseph Anton Koch und Napoleon: Davids Schwur der Horatier inspirieren Wicar und Koch

Jacques-Louis David, Der Schwur der Horatier, 1784, Öl auf Leinwand, 330 x 425 cm, Paris, Musée du Louvre, Foto Wikimedia

Das in Rom entstandene Gemälde – ein Hauptwerk der europäischen Kunst  – schildert ein Geschehnis aus dem 7. Jh. vor Chr. Zwischen Rom und Alba Longa gibt es Krieg. Je drei Brüder sind kampf- und opferbereit als Stellvertreter für die beiden Heere. Stolz nehmen drei Söhne der Horatier die Schwerter von ihrem Vater entgegen. Die Männer schwören, die Frauen klagen. Von den 6 überlebt nur der jüngste Horatier und Rom trägt damit den Sieg davon.

Das Bild hatten Wicar und Koch 1796 vor Augen, wenden sich beide aber bald von der Kriegsthematik ab. Wicar wird in Rom ein erfolgreicher Porträtist und Sammler. Und Koch bald ein großer Dante-Interpret und Landschaftsmaler.

The painting, which was created in Rome, depicts an event from the 7th century B.C. There is a war between Rome and Alba Longa. Three brothers are ready to fight and sacrifice as representatives of two armies. Three sons of the Horatii proudly accept the swords from their father. The men swear, the women lament.

Joseph Anton Koch und Napoleon

Joseph Anton Koch und Napoleon: Koch 1796 frei nach Wicar

Joseph Anton Koch, Der Schwur der 1500 Republikaner, Feder und Aquarell, 34 x 65,5 cm, bezeichnet u. Mitte: „comp. par Koch 1796“. Das Werk wurde 1989, quasi in letzter Sekunde, noch in meine Ausstellung „Joseph Anton Koch, Ansichten der Natur“ in der Staatsgalerie Stuttgart eingefügt (Kat. Nr. 36a). Es ist eine Leihgabe von Richard Feigen aus New York, der es gerade ersteigert hatte. Verbleib unbekannt.

Bereits im Jahr des Ereignisses entsteht Wicars Radierung in Florenz. Sie kommt Koch schnell zu Gesicht, denn sie ist Voraussetzung für seine Komposition. Der Tiroler inszeniert mehr, schafft vorne einen halbkreisförmigen Raum, in dessen Mitte das Heeresbanner flattert, von Rampon beschwörend hochgehalten. Wirkungsvoll platziert er darunter zwei trommelnde Jungen. Linker Hand überwiegen Rückenfiguren, rechts Gestalten im Profil, opferbereit wie bei Jacques-Louis David. Dramatisierend gegenüber Wicar wirkt mehr Pulverdampf.

Am 25. Juli 1797 schreibt Koch einen 1. langen Brief an den Nürnberger Kunsthändler und Verleger Johann Friedrich Frauenholz. „Als ich die erste Zeichnung [des Schwurs] machte, hatte ich nicht im Sinn, sie zu radieren, sondern ich machte sie geradezu, weil der Gegenstand meine Einbildungskraft frappierte. Diese Zeichnung [ist] koloriert und für den Grabstichel ganz fleißig ausgeführt.“ (zitiert nach Lutterotti 1940, S. 137).

Wicar’s etching was created in Florence in the year of the event. It quickly came to Koch’s attention, as it was a prerequisite for his composition. On July 25, 1797, Koch wrote to the Nuremberg art dealer and publisher Johann Friedrich Frauenholz: “When I made the first drawing [of the oath], I had no intention of etching it, but I made it precisely because the subject matter captivated my imagination. This drawing [is] colored and very diligently executed for the engraver.”

Die Fahne der République Française

Detail des vorigen. Wicars und Kochs Darstellungen bereichere ich durch den Text des großen preußischen Militärwissenschaftlers Carl von Clausewitz (1780-1831). Er beschreibt die Situation in seinem hinterlassenen „Feldzug von 1796 in Italien“, Berlin 1833, S. 28.

„Er [Generalmajor E. G. A. Graf von Mercy-Argenteau] trat damit erst den 11. Morgens um drei Uhr den Marsch auf Montenotte an, vermuthlich weil er den 10. gebraucht hatte diese Truppen zu versammeln.

Argenteau trifft auf dem hohen Rücken nur schwache Posten der Franzosen an, welche ohne großen Widerstand weichen und sich auf einen aus der Gegend von Montenotte nach Savonne hinlaufenden hohen Rücken, den Monte Legino, zurückziehen, auf dessen engster Stelle einige nicht armirte Schanzen befindlich waren. Hier werden sie von dem Obersten Rampon aufgenommen, der mit zwei Bataillonen von der Brigade La Harpe zu ihrer Unterstützung abgeschickt worden ist. Dieser Officier wirft sich mit seinen 1200 Mann in die Schanzen und läßt seine Leute mitten im feindlichen Feuer den Eid schwören, eher zu sterben als ihren Posten zu verlassen. Alle Anstrengungen, welche die in diesem Augenblick vielleicht nur 2- bis 3000 Mann starken Östreicher machen, die Redoute zu erobern, sind vergeblich. Die Nacht bricht ein, sie müssen sich auf die dahinterliegenden Höhen zurückziehen.“

Detail of the previous one. Wicar’s and Koch’s descriptions are made even clearer by the text of the great Prussian military scientist Carl von Clausewitz (1780-1831). He describes the situation in his “Campaign of 1796 in Italy”, Berlin 1833, p. 28.

Kochs Radierung von 1797

Joseph Anton Koch, Schwur der 1500 Republikaner, 1797, Radierung, bez. l. u. „comp. et gravé par Koch a Rome“, Blatt 48 x 82,7 cm, Bild 34,5 x 67 cm, Privatbesitz

An Frauenholz, der Anfang Juli 1797 Interesse an dem Werk zeigt, schreibt Koch aus Rom im oben genannten Brief. „Ich bin nicht Kupferstecher, sondern Maler, ich wollte und konnte nur ein malerisches-radiertes Blatt liefern, welches mich 3 Monate Zeit, um es zu verfertigen, kostete.“ Seine Quelle Wicar hat er verschwiegen.

Kochs Bildtext stimmt mit dem Wicars fast vollständig überein. Sie gibt das Datum des Revolutionskalenders an (= 11. April 1796). Die begeisternde, auch formal an die Horatier erinnernde Opferbereitschaft der Soldaten führt die eigentlich unterlegenen Franzosen zum unerwarteten Triumph. Dieses erste Einbrechen der Koalitionstruppen leitet eine nahtlose Folge von täglichen französischen Siegen ein. Bereits am nächsten Morgen um 9:30 Uhr gewinnt Napoleon die Schlacht bei Montenotte. Es gelingt ihm, einen Keil zwischen die verbündeten Heere des Feindes zu treiben. Erstmals zeigt sich Bonaparte als genialer Heerführer, Stratege und Taktiker.

Dazu macht er einen selbstbewussten Ausspruch: „Ma noblesse date de Montenotte – Mein Adel datiert von Montenotte“. Es geht nicht mehr um erblichen Adel, sondern um den der Leistung.

English text

Koch wrote to Frauenholz, who showed interest in the work at the beginning of July 1797, from Rome in the above-mentioned letter: “I am not an engraver, but a painter; I only wanted and was only able to deliver a painterly etched sheet, which took me three months to complete.” He concealed his source Wicar.

Koch’s caption agrees almost completely with Wicar’s. It gives the date of the revolutionary calendar (= April 11, 1796). The soldiers‘ enthusiastic willingness to sacrifice, also formally reminiscent of the Horatii, leads the actually defeated French to an unexpected triumph. The next morning, Napoleon won the battle of Montenotte. He makes a self-confident statement: “Ma noblesse date de Montenotte – My nobility dates from Montenotte”. It is no longer about hereditary nobility, but about nobility of achievement.

Der Ausschnitt links rückt neben vielen Kampfdetails zwei Männer ins Rampenlicht. Links schreitet ein mutiger Offizier voran. Rechts feuert effektvoll die Schattengestalt eines Kavalleristen mit erhobenem Schwert sein Umfeld an. In weiterer Ferne ist eine Festungsarchitektur zu Füßen des Gebirges zu erkennen.

Erinnerung an die Horatier

Hier ist das Echo auf die von David gefundene Bildform der mehrfachen Schwurgeste besonders deutlich. Einer der Soldaten präsentiert – wie schon bei Wicar – auf seinem Bajonett die phrygische Mütze der Jakobiner.

Here, the echo of the pictorial form found by David of the multiple oath gesture is particularly clear. One of the soldiers presents the Phrygian cap of the Jacobins on his bayonet.

Zuletzt eine Rahmenszene mit verletzten Soldaten zwischen Pulverfässern. Dahinter eine nach unten feuernde Kanone, an gleicher Stelle wie bei Wicar, und eine Kugelpyramide. Jenseits des Pulverdampfs sieht man Zelte in der Ferne.

Joseph Anton Koch und Napoleon: weitere Vorhaben

Bei seiner ersten und größten druckgraphischen Arbeit bekundet der junge Koch deutlich seine Begeisterung für die Sache der Franzosen. Frauenholz berichtet er sogar im genannten Brief vom 25. Juli 1797, dass er in gleicher Größe ein Pendant angefangen habe: „nämlich den General Bonaparte, wie er seine Soldaten anfeuert, die Brücke von Arkoli zu erstürmen.“ 

Koch bezieht sich damit auf ein Ereignis vom 15. November 1796. Bonaparte selbst stürmt mit der Fahne in der Hand an der Spitze seiner Soldaten dem Feind entgegen. Das wurde mehrfach dargestellt, u. a. bereits 1796 von Antoine-Jean Gros in Neapel.

Auch teilt Koch Frauenholz mit: „Der italienische Krieg hat mehrere Gegenstände, welche für die Kunst zu bearbeiten sind…“. Doch der erfahrene Händler erkennt richtig und wohl auch Koch selbst, dass weniger die „historischen“ als die „dichterischen Landschaften“ seine besondere Stärke sind. Zu den vielen großen Blättern, die Koch dem Nürnberger 1797 anbietet, gehört auch dasjenige mit Herkules am Scheideweg in Stuttgart.

Die Besetzung Roms durch die Franzosen und die Errichtung einer „Römischen Republik“ von 1798-99 machen Koch bald zu einem entschiedenen Gegner Bonapartes und der Grande Nation. 

Finally, a framed scene with wounded soldiers between powder kegs. Behind it a cannon firing downwards, in the same place as in Wicar’s work.

In his first and largest printmaking work, the young Koch clearly expresses his enthusiasm for the French cause. However, when the French troops occupied Rome and established a “Roman Republic” from 1798-99, the artist became a staunch opponent of Napoleon and the Grande Nation.

Rampons spätere Verherrlichung

Joseph Anton Koch und Napoleon: die Schlacht gemalt 1812 von R. Th. Berthon

René Théodore Berthon (1776-1856), Colonel Rampon verteidigt die Schanze von Monte Legino am 11. April 1796, gemalt 1812, Aufenthaltsort unbekannt, Foto Wikimedia.

Als Napoleon 1812 auf der Höhe seines Ruhmes ist, allerdings auch mit seinem Russlandfeldzug kläglich scheitert, heroisiert Berthon seinen ersten Erfolg im Italienfeldzug bzw. die Tat von Rampon. Anders als bei Wicar und Koch spielt die Szene auf der Höhe des Monte Legino. Alles führt in aufsteigender Diagonale zum Heeresbanner der République Française, der Grande Nation

Colonel Rampon defending the Monte Legino redoubt on April 11, 1796, painted in 1812, location unknown, photo Wikimedia.

When Napoleon was at the height of his fame in 1812, Berthon heroized his first success in the Italian campaign and Rampon’s deed. Unlike Wicar and Koch, the scene is set on the heights of Monte Legino.