Joseph Anton Koch, Herkules am Scheideweg in „dichterischen Landschaften“, Detail der folgenden Abbildung: Parklandschaft mit See, um 1793, Feder und Pinsel in Braun über Bleistift, weiß gehöht, 60,9 x 80,9 cm, Kunsthalle Karlsruhe, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. 1950-104

Wohl im gleichen Jahr in der Schweiz entstanden wie das kleine Basler Blatt. In diesem Großformat, das zu Kochs Kategorie erfundener und daher „dichterischer Landschaften“ zählt, verwandelt sich die Basler mythologische Szene mit unspezifischem landschaftlichem Hintergrund in eine bildmäßige Landschaftsdarstellung mit mythologischer Staffage.

Die Figuren nobilitieren den Naturraum als einen aus idealer Vorzeit. Den Charakter der beabsichtigten Verführung des Helden verdeutlichen die Badenden sowie die Herme rechts mit Leier und Blasinstrumenten, vor allem aber die Schlangen.

In einer Abendstunde zwischen Sonne und aufziehendem Unwetter sieht man die Gewissensprüfung des nackten Helden. Vor sein geistiges Auge treten – wie für den Betrachter real – zwei Frauen, die er nicht direkt ansieht, aber innerlich erblickt. Dabei die Tugend in strahlendem Weiß. Wiederum schließt sich Koch Poussin an. Das Laster ist noch etwas verführerischer und Amor aktiver. 

Ende 1794: Aufbruch nach Rom

J. A. Koch, Herkules in einer "dichterischen Landschaft",  – hier ein Zwischenkapitel: der Aufbruch nach Rom

Joseph Anton Koch, Der Künstler vor dem Aufbruch in den Süden, 1794, Bleistift, 9,7 x 15 cm, Düsseldorf, Goethe-Museum, Inv. Nr. K.K. 4608, Foto Museum

Koch verabschiedet sich im Stammbuch seines Freundes August von Herder (1776-1838) mit einem bildlichen Gruß, bevor er Ende Dezember 1794 aus der Schweiz nach Italien wandert. Er sitzt im Sprung vor steilen Bergen und wendet sich fernen Regionen mit edlen Bauten zu. Er folgt seiner Muse, der Imitatio. Wir kennen sie vom bereits gezeigten Blatt, ehem. in Stuttgart. Hier gleicht sie auch einer Fama, der Göttin des Glücks und des Ruhms. Auf beides hofft der 26jährige in Rom. Er schreibt: „Meine Freundin ruft mir, ich muß eilen in die Gefilde des Frühlings. Leben sie wohl mein Freund, ich bin Ihr J. Koch, ein nach Rom pilgernder Mahler.“

Joseph Anton Koch, Herkules in „dichterischen Landschaften“ – ein Paradebeispiel italienischer Prägung

J. A. Koch, Herkules in einer "dichterischen Landschaft", Staatsgalerie Stuttgart

Joseph Anton Koch, Landschaft mit Herkules am Scheideweg, sign. und 1797 dat., Feder in Schwarzgrau, Pinsel in Braun, Rotbraun und Grau, weiß gehöht, 54 x 75,9 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.Nr. 5660

In dieser in Rom entstandenen, großen und eindrucksvollen „dichterischen Landschaft“ schlägt sich das Italienerlebnis deutlich nieder: anstelle einer erdachten idealen Natur nun ein Echo auf die südländische Vegetation. Die seitlich sich auftürmende Alpenwelt tritt in den Hintergrund. Der Tempel in ferner Höhe ist kaum zu erkennen. Der Weg des Herkules zu Ruhm und Ehre wird also hart und lang. Rechts im Mittelgrund gibt es wieder Badeszenen und das Schmücken einer Herme mit Blumen. Ein Frauenpaar wandert unberührt vorbei.

Detail aus vorigem. Der jugendliche Idealmann ist zu einem sitzenden Denker geworden. Auf Amor wird verzichtet. Die Tugend steht fordernd vor Herkules. Die nun halbnackte Repräsentantin des Lasters hakt sich bei ihm ein und weist auf den bequemen Weg der Ebene hin.

Wie meist befindet sich die Tugend links – bildintern also zur Rechten des Helden – und das Laster rechts, bildintern links von ihm. Die Rangordnung ist von den Dargestellten aus zu werten. Bildintern ist die stehende Gestalt also auf der wichtigen Seite. Gleiches gilt z. B. für Altäre, für Darstellungen des Jüngsten Gerichts oder auch für die Leseweise von Wappen. 

Koch endlich in Rom

Eberhard Wächter. Joseph Anton Koch, Öl auf Leinwand, 29,4 x 22,9 cm, Kopenhagen, Thorvaldsens Museum, Inv.Nr. B165, Foto Museum

So sieht der junge, in Rom angekommene Maler aus: klarer, beinah durchdringender Blick, hellwach; anders als in Stuttgart endlich frei fallendes, lockiges Haar, fast von der Fülle einer Frau. Gemalt wird das kleine Porträt zwischen 1795 und 1798 von seinem etwas älteren schwäbischen Freund Eberhard Wächter, der auch die Stuttgarter Carlsschule besucht hat. Anders als dieser verlässt Koch jedoch nicht seine „Gefilde des Frühlings“, also Italien, bei der Besetzung Roms durch die Franzosen. Rom wird und bleibt sein Lebensort, dank auch der Eheschließung 1806 mit Cassandra Rainaldi (1783-1875) aus Olevano. – Die Zahl der überwiegend italienischen Nachkommen des Paares beläuft sich inzwischen auf mehr als 900.

Zu Kochs engen Freunden zählt auch Bertel Thorvaldsen (1770-1844), der seinen Ankunftstag in Rom am 8. März 1797 als seinen eigentlichen Geburtstag feiert. Bald wird Koch zum größten künstlerischen Interpreten Dantes im 19. Jh., zeitweilig in Zusammenarbeit mit dem dänischen Römer. Dem Thema widmete ich 1980 eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart mit dem Titel „Dante – Vergil –  Geryon“.

J. A. Koch, Herkules in einer "dichterischen Landschaft", Museum Folkwang

Joseph Anton Koch, Landschaft mit Herkules am Scheideweg, wohl um 1805/10, Feder, Pinsel, Tusche und Sepia, weiß gehöht, 27,5 x 41,7 cm, Essen, Museum Folkwang, Inv. Nr. C 237, Foto Museum

In dem kleinen, malerisch sehr frei und souverän gestalteten Blatt nimmt Koch nochmals die Grundidee der vorangegangenen Darstellung auf. Herkules scheint erneut bei seiner Hinwendung zu Stress und Tugend etwas zu zögern und zu zaudern. Hier locken zu seiner Linken (für den Betrachter rechts) in lieblicher Landschaft harmlose Schwäne und in der Ferne ein Fest mit Tanzenden bei einem Tempel. – Salopp könnte man sagen: rheinischer Karneval steht pietistischer Tugend gegenüber. Vgl. nächsten Beitrag.