Kanalsanierung – Würdigung eines tüchtigen Teams. Eine Wohnstraße im Nordwesten Stuttgarts im Sommer 2018: nach dem Kanalbau im Jahr 1928 steht 90 Jahre später eine Kanalsanierung an.
Angekündigt Wochen zuvor, ist sie seit 3 Monaten auf 160 m Länge im Gang. Gesperrt ist die Straße davor und dahinter noch um weitere 80 m wegen der Zufahrt der Baufahrzeuge.
Striktes Halteverbot besteht während der Arbeitszeit von 7 bis 17 Uhr. Zudem führen noch Zufahrtserschwernisse außerhalb dieses Zeitraums zu manchem Unmut bei Anwohnern. In der näheren Umgebung sind kaum Parkplätze zu finden.
Noch unangenehmer und nervenbelastend ist der ununterbrochene Lärm der Fahrzeuge, der Bagger, Stampfer und des Motors der Entwässerungspumpe. Selbst Lärmschutzfenster helfen kaum.
Was müssen dann erst die Bauarbeiter ständig für Jahre und Jahrzehnte aushalten?!
Das Baustellenteam
Das Gruppenfoto zeigt von rechts die Herren Arnold, Reebig, Aviboun, Schöllhammer, Denzinger sowie Struwe.
Die ersten fünf bilden den eigentlichen Arbeitstrupp. Sie sind eingespielt und kommunizieren bestens auch bei hohem Lärmpegel. Mit Gehörschutz funktioniert das oft fast wortlos durch Gesten. Dabei gehen sie freundlich miteinander um. Anordnendes Gebrüll, wie manchmal auf Baustellen zu hören, gibt es nicht. Fragen von Laien werden geduldig beantwortet.
Das direkte Gespräch offenbart, dass dieser Art Arbeit fast nie Lob gezollt wird. Das ist für mich der Grund, diese sechs „Nachbarn auf Zeit“ hier mit einem ihnen gewidmeten Beitrag zu ehren und jeden einzelnen auch mit einem eigenen Bild.
Mein Vorschlag überrascht und verwundert die Betroffenen zunächst. Ihre Zustimmung erfolgt nach interner Rücksprache – ohne meine Anwesenheit.
Unser Haus liegt am oberen Ende des Sanierungsbereichs. Tag für Tag nähert sich uns der Arbeitstrupp. Den auf die Nerven gehenden Krach überlagert allmählich die bewundernde Beobachtung des Arbeitsstils. Anerkennung stellt sich wie von selbst ein.
Arbeitsbeginn um 7 Uhr vor dem Haus, wobei als erstes Müllcontainer zu einem für die Abfuhr leicht zugänglichen Ort gebracht werden müssen.
Herr Arnold, der Polier
Claus Arnold, Polier, Alter 49 Jahre, Wohnort nur 18 km entfernt.
Herr Arnold ist der Kopf des Teams. Er scheint alles zu können und bei Bedarf auch alles zu machen.
Fast wie ein Dirigent lenkt er die Maßnahmen des Baggerfahrers durch andeutende Gesten, wenn dieser keinen Einblick in den 3 bis 4 m tiefen Kanalisationsgraben bekommen kann.
Herr Reebig, der Baumaschinenfahrer
Klaus Reebig, Baumaschinenfahrer, Alter 50 Jahre, Wohnung 60 km entfernt.
Die Art und Weise, wie er auf seinem Radbagger mit Schaufel, Greifer oder Felsenfräse tätig ist, erweckt Staunen. Denn der Bereich zwischen den Verbauelementen ist keineswegs immer frei. Oft hat er zwischen Querleitungen und auch mit Rücksicht auf seine für ihn nicht sichtbaren Kollegen Material aus der Tiefe auszugraben. Mit Verlass auf deren Gesten arbeitet er quasi „mikroinvasiv“. Das erfolgt mit aller Ruhe, Konzentration und manchmal mit Zentimeterbewegungen.
Durch kurze Rüttelbewegungen sichert Herr Reebig das ausgehobene Erdreich in der Schaufel, bevor er damit die Halbkreiswendung zum Laster macht.
Herr Schöllhammer, der LKW-Fahrer
Gerd Schöllhammer, LKW-Fahrer, Alter 50 Jahre, Wohnung 54 km entfernt.
Bewunderung gilt seinen Fahrkünsten. Von der Hauptstraße an fährt er rückwärts oft über 100 m in beengten Verhältnissen mit seinem LKW und einem zweiachsigen Anhänger zur Baustelle. Und das geschieht nur mit Blicken in die Rückspiegel. Ein korrigierendes Zurückfahren habe ich nie gesehen.
Zwei Verbauelemente gibt es, die wechselweise nach Fortgang der Arbeit voreinander gesetzt werden. Hier ein Blick in die Enge des Grabens, der sich hinten zum Schachtbereich weitet. Drei Personen arbeiten dort. Der Baggerfahrer beugt sich vor, um möglichst weit nach unten zu sehen.Herr Aviboun, Straßenbauarbeiter
Prosper Aviboun, Straßenbauarbeiter, Alter 50 Jahre, Wohnung 38 km entfernt. – Er stammt aus Ghana und ist seit 21 Jahren in Deutschland. Herr Aviboun arbeitet überall, wo Bedarf besteht. Er ist besonders freundlich und gibt gerne und in gutem Deutsch Auskünfte.
Die Arbeit geht ihrem Ende entgegen. Herr Aviboun blickt aus dem zweiten Betonzylinder des Kanalschachts.Herr Denzinger, Straßenbauarbeiter
Andreas Denzinger, Straßenbauarbeiter, Alter 29 Jahre, Wohnung 50 km entfernt. Wie Herr Aviboun ist er überall tätig, speziell aber bei Verdichtungsarbeiten mit Stampfer und Vibrationsplatte.
1928 war der Kanalschacht noch mit gerundeten Ziegelsteinen gemauert worden. Nun geht das zügiger. Herr Aviboun hat innen das Aufeinandersetzen der Zylinder des Schachts überwacht. Von außen hilft ihm Herr Struwe, obgleich dieser das nicht müsste.Herr Struwe, Feuerwerker
Swen Struwe, Feuerwerker, Alter 44 Jahre, Wohnung 115 km entfernt – eine Strecke, die er täglich zweimal fährt. 1994 ist er aus Thüringen nach Süddeutschland gekommen. In Baden-Württemberg und Bayern ist er auf solchen Baustellen anwesend wegen eventueller Kampfmittelräumung. Von einer spezialisierten Firma wird er zu dieser Gefahrenabwehr entsandt.
Wasserspeier von Nôtre-Dame in Paris und Greiferkopf in Stuttgart.
Ein Gelenkstück des Radbaggers mit Greifer hat einen Kopf mit Augen, Nase, Zähnen und breitem Schnauzbart.
Doch wurde das nicht erdacht, um wie bei mittelalterlichen Wasserspeiern Dämonen abzuschrecken, sondern nur konstruiert, um den Erfordernissen einer Baumaschine zu genügen.