Herkules am Scheideweg bei jüngeren Malern: zunächst ein italienischer Auftritt eines Künstlers, geboren eine Generation nach Eberhard Wächter: Giovanni de Min, Herkules am Scheideweg, 1812, Öl auf Leinwand, 225 x 162 cm, Venedig, Galleria dell‘Accademia, Foto Wikimedia
De Min (1786-1859) wird hier auch gezeigt, weil Erwin Panofsky 1930, S. 142 dieses Riesenbild erwähnt, es ihm aber unbekannt geblieben ist. Ohne Beziehung zu überkommenen Darstellungen drängt der junge Künstler die Figuren raumfüllend zusammen. Er gibt ihnen eine nahsichtige physische Präsenz, die an Figurenstudien in Akademiesälen während der Ausbildung erinnert. Herkules‘ Haltung und Kopf lässt direkt an ein Aktmodell denken, ebenso wie die sich erstmals mit bloßer Brust an ihn schmiegende Verkörperung des Lasters. Entsprechend zutraulich lehnt sich Amor an seinen Oberschenkel. Dass er den nemeischen Löwen bereits bezwungen hat, verdeutlicht das Fell mit großer Pranke. Die Tugend tritt etwas teilnahmslos wie eine Minerva auf. Alles in allem in Dimension und Form ein kolossalischer Klassizismus, der gut zur napoleonischen Ära passt.
Müllers Modellstudien
Karl Friedrich Johann Müller (1813-1881), Studie für einen Herkules am Scheideweg, Schwarze Kreide, 68 x 58 cm, um 1835, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv. Nr. C38/346
Müller wächst in einem familiären Netz von Künstlern auf. Er ist Sohn des berühmten Kupferstechers Friedrich Wilhelm (1782-1816), Enkel von Johann Gotthard (1747-1830) und Großneffe des Bildhauers Dannecker. Nach dem frühen Tod der Eltern versucht der Großvater ihn vom Künstlerberuf abzubringen. Doch der Enkel setzt sich durch, geht 1831 zu Peter von Cornelius nach München, 1833-1837 zu Ingres nach Paris und mit diesem bis 1848 nach Rom. Dann lebt er 1848-1850 in Stuttgart, bis 1867 in Paris, anschließend in Frankfurt.
So, als habe er von Wächters Auftrag der Kunstschule in Stuttgart erfahren, versucht sich der junge Mann in Paris etwa gleichzeitig am gleichen Thema. Großfigurig wie de Min füllt er die Fläche. Die Nähe zu Ingres ist zu spüren. Solche Aktstudien wären bei Wächter undenkbar. Das Herkulesmodel stützt seine Keule auf einen angedeutetem Felsen. Die Tugend zu seiner Rechten ist bereits transparent verhüllt.
Noch interessanter ist die Rückseite. Müller tauscht die beiden Allegorien aus. Das Laster nun links, halbnackt geplant und entschieden verführerischer. Dagegen die Tugend erstmals als Rückenfigur und kompositionell etwas unglücklich mit der Linken nach oben deutend. Sie ist bereits „römisch“ bekleidet und wirkt durch ihre veränderte Stellung etwas größer als die beiden anderen Gestalten. Der rechte Arm ist missglückt, ein Gleichgewicht der Komposition noch nicht erreicht. Wenige Linien deuten die Landschaft an.
Es wäre schön, das Gemälde zu kennen, das Müller in Paris unter Ingres Leitung gemalt hat. Vgl. August Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie.
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Europae Pax
Ein weiterer bildlicher Appell: John Flaxman, Entwurf einer Medaille für Frieden in Europa, 1802, Feder, Tusche und Bleistift, 10,9 x 10,4 cm, London University College, Foto Museum
Leider ist auch heute der Entwurf des großen englischen Bildhauers und Zeichners John Flaxman (1755-1826) von bedauerlicher Aktualität. Weisheit und Tugend stehen sich gegenüber. Minerva, die Göttin der Aufklärung, und Herkules reichen sich die Hände und halten gemeinsam eine Waage, die das Gleichgewicht der Kräfte verbildlicht. Wenn so SAPIENTIA und VIRTVS, Vernunft und tugendsame Tatkraft zusammenwirken, dann wird sie VICTORIA vom Altar des EUROPAE PAX mit Kränzen auszeichnen. Dann dürfte damals wie heute Hoffnung auf Frieden in Europa bestehen.
Vgl. Ausst. Kat. Schwäbischer Klassizismus, Staatsgalerie Stuttgart 1993, S. 76.