Schloss Fachsenfeld II – das Rappendenkmal. Nach der Feier der Schönheit zahlloser Pferde in meinen Beiträgen, nun etwas Anderes. Ein erneuter Rückblick auf Russland 1812 und eine lebenslange Dankbarkeit gegenüber einem „herrlichen Tier“!
Was für eine Überraschung war die Entdeckung des Denkmals im Halbschatten von Laubbäumen. Kein Denkmal für einen einzelnen Menschen, noch für einen Reiter mit seinem Pferd, sondern lediglich für ein gesatteltes Pferd! Der Besitzer und sein Rappe haben miteinander schlimmste Ereignisse überstanden, in wechselseitiger Freundschaft und Treue. Es ist wohl einmalig, dass jemand in dankbarer Erinnerung seinem gesattelten Pferd ein Monument, wenn auch ein schlichtes, errichten lässt.
Pferd, Gusseisen, 75 x 57 x 18,5 cm, Steinsockel ohne Bodenplatte 165 cm hoch, Gesamtmaße 230 x 65,5 x 27 cm.
Wer kennt vergleichbare Beispiele solcher Denkmale und Pferdeliebe?!
Militärdienst in jungen Jahren
Unbekannter Maler, Wilhelm von Koenig, Miniatur, 5,2 x 4,2 cm, 1811, Aalen-Fachsenfeld, Stiftung Schloss Fachsenfeld
Laut rückseitiger Aufschrift zeigt die Miniatur den jungen Koenig als Kadetten im Alter von 18 Jahren. Dieser fast noch jungenhafte Kavallerist muss bald darauf nach Russland. Eine gewiss mehr oder weniger traumatische Erfahrung, die ihn sein Leben lang begleitet.
Menschlich und historisch sind seine etwa ein halbes Jahrhundert später festgehaltenen Kriegserfahrungen von hohem Interesse. Das Verhältnis zu seinem Pferd, das nur „der Rapp“ genannt wird, soll hier gewürdigt werden. Und natürlich weitere Erinnerungsformen.
Die im späten 18. Jh. geborenen Europäer sind wohl fast alle geprägt von den Napoleonischen Kriegen. So auch der junge Wilhelm von Koenig (Stuttgart 1793-1879). Als Sohn eines Geheimen Oberjustizrats besucht er in Stuttgart das angesehene Gymnasium illustre. Aber er darf dort nicht bis zum Schluss bleiben. Noch vor der Reifeprüfung wird er 1811 durch König Friedrich zum Militärdienst beordert. Ein Jahr später hat er mit 19 Jahren als Leutnant vom Ulmer „Chevaulégers-Regiment Nr. 1 Herzog Heinrich“ am Russlandfeldzug teilzunehmen.
Wie durch ein Wunder überlebt er das, genauso wie die einzigen künstlerischen Kriegsberichterstatter Albrecht Adam und Christian Wilhelm Faber du Faur.
Schloss Fachsenfeld II – das Rappendenkmal
Sechs Schlachten – Orte des Russlandfeldzugs und der Befreiungskriege – listet die Sockelplatte des Rappen auf:
MOSKAU – Brand von Moskau. In der Stadt ist Koenig vom 3. bis 19. Oktober 1812.
BEREZINA – Schlacht und Rückzug: schreckliche Überquerung des Flusses Beresina am 26./27. November 1812 mit Zehntausenden Toten
SMOLENSK – erste größere Schlacht am 5. und 6. August 1812
JÜTERBOK – Schlacht von Jüterbog in Brandenburg am 6. September 1813
LEIPZIG – Völkerschlacht bei Leipzig am 16. bis 19. Oktober 1813: Hauptschlacht der Befreiungskriege mit Sieg über Napoleon, die wohl größte Schlacht weltweit vor dem 20. Jh.
BAUTZEN – Schlacht bei Bautzen am 20./21. Mai 1813, eine Art Pyrrhussieg für Napoleon
Erinnerung an den Russlandfeldzug von 1812
Mit knapp 70 Jahren schreibt Koenig für seine Familie einen Bericht über den ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Russlandfeldzug.
Dr. Roland Schurig, Aalen, danke ich für den Hinweis auf die Publikation: Drei Schwaben unter Napoleon, Rußlandberichte eines Infanteristen, eines Leutnants, eines Generals, hrsg. von Bernhard Hildebrand, Stuttgart 1987. Der Leutnant ist unser Wilhelm von Koenig, hier zitiert als: Koenig mit Seitenzahl.
Koenig, 146, in Moskau über seinen Regimentskommandanten: Für mich war auf einmal buchstäblich die Sonne aufgegangen. Sein Bruder Herr v. P. war in der Schlacht von Moshaisk [auch: Moskwa] geblieben. Das eine seiner notorisch vortrefflichen Reitpferde, einen Rappen, gab er mir samt Sattel und Zeug für 30 Louis d‘or und schenkte mir 2 Hemden, 2 Paar Strümpfe und 1 Paar Unterhosen.
Die Größe dieses Geschenkes mag der Leser daraus ermessen … [Brief an seine Eltern am 8. Oktober]: Ich kam nach Moskau mit zwei abgemagerten Pferden, lahm und gedrückt, auf dem Leibe ein Collet, ein Paar Hosen, ein Hemd, einen Strumpf und ein Sacktuch und dies … war Alles. …
[Kritik der Kameraden am Kaufpreis]. Das machte mich aber nicht irre und der Erfolg rechtfertigte die Vortrefflichkeit des Kaufes, denn ein herrlicheres Tier konnte es wohl nicht geben.
Rückmarsch von Moskau
Koenig, 154: Wegen Schrumpfung der Truppe auf dem Rückmarsch von Moskau von rund 1000 Pferden auf etwa 30 wird er mit Kameraden aus dem Dienst entlassen. Koenig tut sich mit anderen Offizieren zusammen. 6. November 1812: Die Franzosen wankten gespensterhaft vorwärts, denn zu den früheren Leiden, zu Hunger, Ermüdung, Krankheiten und Wunden hatte sich der vertilgende Frost gesellt.
Koenig, 158: Ich trat … den Rückzug [von Moskau] mit 4 Pferden an. Auf dem Schlachtfelde von Moshaisk mußte ich den schönen Fuchsen stehen und seinem Schicksale überlassen, weil er so schwach wurde, daß er unmöglich weiter zu bringen war. Der gleiche traurige Zustand stellte sich später auch bei meinem Braunen, einem vortrefflichen Pferde ein, so daß er nicht mehr im Stande war auf dem Glatteise weiter zu können. Als ihm mein Reiter den Säbel in die Brust stieß, um ihn zu töten, blieb das arme Tier unbeweglich stehen. Man schoß ihm nun eine Kugel in den Kopf. Kaum zu Boden gestürzt, wurde er von den hungernden Soldaten zerlegt und aufgezehrt.
Zur Angst vor dem Erfrieren in der Nacht tritt Koenigs ständige Sorge wegen des drohenden Diebstahls seines Rappen.
Überquerung der Beresina
Koenig, 165 f., berichtet von seinen Erfahrungen bei der lebensgefährlichen Überquerung der Beresina auf zwei Brücken auf Holzböcken (Rüstgestellen, chevalets) … Hier nur ein Ausschnitt:
Auf Seite 167 f. heißt es: Nach einigen wirklich peinvollen Stunden, war ich der Brücke so nahe gekommen, daß ich dieselbe auf 20 oder 30 Schritte Entfernung im Gesichte hatte, jedoch stets von allen Seiten so eingezwängt, daß ich mich nicht rühren konnte. Unmittelbar vor mir saßen ein paar Soldaten auf russischen Ponies, die lange über das natürlich auch unwillkürliche Drücken meines Rappen schimpften. Wie es kam, weiß ich nicht – und zwar nicht, weil ich es wegen der indessen verflossenen 49 Jahre vergessen hätte, denn diese schauerlichen Stunden meines Lebens haben sich meinem Gedächtnis tief eingeprägt, sondern weil ich zu aufgeregt der steten Lebensgefahr wegen war, um nach allen Seiten beobachten zu können.
Auf einmal stürzten die Soldaten mit ihren Ponies, und mein Rappe, der dadurch vor sich keinen Widerstand mehr hatte, sprang in der Verzweiflung über das stundenlange Drücken auf diese hinauf und stieg. Überschlug er sich, so war es aus mit uns beiden. Ich hatte in diesem gefährlichsten Momente meines Lebens meine Seele Gott befohlen, als er sich drehte, auf die Vorderfüße herabließ und hinausschlug, bis er, was übrigens selbstverständlich nur Sache einiger Augenblicke war, sich frei fühlte.
So rettete mir dieses unvergleichliche Tier das Leben.
Ein Zeugnis von Liebe und Treue zu „seinem braven Reitpferd“
Koenigs Bericht, 186, beschließt folgender Absatz: Seinem braven Reitpferd aber hat er die Treue gehalten. Der Rappen begleitete ihn in den Zivildienst, wurde 33 Jahre alt und ruht mit militärischen Ehren begraben im Schloßpark zu Fachsenfeld. Ein schlichtes Denkmal legt Zeugnis ab von Liebe und Treue zwischen Mensch und Tier.
Die Zahlen auf dem Stein stimmen nicht ganz. Nach 8jährigem Ruhestand stirbt der Rapp laut archivalischer Quellen am 19. November 1838 in seinem 34. Lebensjahr.
Schloss Fachsenfeld II – das Rappendenkmal
Das Denkmal mit seiner bescheidenen Monumentalität berührt den Betrachter auch noch nach Generationen ganz unmittelbar. Selbst wenn er nichts vom schrecklichen Russlandfeldzug weiß.