Berlin: das letzte und weltbekannte Meisterwerk von Ludwig Mies van der Rohe ist nach Jahren behutsamer Sanierung wieder zugänglich. 1968 erlebte ich die Vorbesichtigung kurz vor dem Ende meines Studiums an der FU Berlin. Genau erinnere ich mich an die allgemeine Begeisterung, an die ungewöhnliche Präsentation der Sammlung im Untergeschoss, an vieles mehr und den Direktor Werner Haftmann.
Derzeit verhinderte Corona einen früheren Besuch. Weihnachtstage beim Berliner Nachwuchs ermöglichen am 21.12.21 einen ersten flüchtigen Rundgang. Faszinierend sind die Neupräsentation der Bestände und die Calder-Ausstellung. Am nächsten Tag ist ein Schnelltest positiv – wie bereits am 20.12. bei einem Enkel. Ein Museumsbesuch ist damit ausgeschlossen. Anders sieht es mit dem Betreten der Terrasse aus.
Ein PCR-Test am 24.12.21 führt zur Quarantäne. Folgendes ist das Resultat der geschenkten Zeit.
Einstimmung Altes Museum
Auf dem Weg zum Kulturforum bietet das Dach des Berliner Schlosses/Humboldt Forums neue Perspektiven: vor allem auf das vertraute Alte Museum. Es ist eine Einstimmung auf die gleichfalls Maßstäbe setzende Neue Nationalgalerie. Neben Schinkels Eleganz wirkt der neobarocke Berliner Dom reichlich bombastisch wie manches seiner Entstehungszeit.
Das Alte Museum (1825-30) von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) ist ein Höhepunkt des deutschen Klassizismus und zugleich der Gründungsbau der Museumsinsel. Die Wertschätzung als Weltkulturerbe der UNESCO mit dem ganzen Museumsensemble erscheint selbstverständlich. Die Front mit dem ruhigen Gleichklang 18 ionischer Säulen begrenzt auf noble Weise den Lustgarten und bereitet vor auf weitere Klassizismen. Die jüngste, feine Zutat ist links die zurückhaltende James-Simon-Galerie von David Chipperfield. Rechter Hand thront als ein Tempel der Kunst die Alte Nationalgalerie von 1876.
Wie man sieht, könnte in Wintertagen der Schatten der Kuppellaterne des Schlosses durchaus auch als Sonnenuhr fungieren.
Neue Nationalgalerie: Außenansichten I
Gerade Corona-positiv getestet, verschafft das Umrunden der Neuen Nationalgalerie bei schönem Morgenlicht eine willkommene Ablenkung. Nach langen Jahren handelt es sich um ein erstes Wiedersehen mit dem letzten Hauptwerk von Mies van der Rohe (1886-1969). Am Vortag konnte ich auch innen realisieren, wie feinfühlig die Sanierung von David Chipperfield (*1953) durchgeführt wurde.
Tempelartig ruht der Bau aus Stahl und Glas auf einer Terrasse von gut 100 m im Quadrat. Das Ganze ist eine glanzvolle Antwort der Moderne auf Schinkels Altes Museum. 5 ½ m hoch ist die Stahlarbeit „Têtes et Queue“ von Alexander Calder (1898-1976) aus dem Jahr 1965. Das Werk scheint Mies und Chipperfield vor Begeisterung zu applaudieren.
Acht Stahlstützen tragen ein quadratisches, über 1.200 Tonnen schweres Stahldach mit einer Kantenlänge von 64,8 m. Auf jeder Stütze ruhen demnach 150 Tonnen = 3000 Zentner. Die Glashalle ist allseits um 7,2 m zurückgesetzt. Das Ganze erscheint als ein Schatzhaus der Kunst, als ein einzigartiger, nobel-strenger Tempel der Moderne!
Mies‘ stützenfreie Glashalle gewährt von allen Seiten Einblicke und Spiegelungen. Hier in Richtung Nordosten auf die St.-Matthäus-Kirche und die Philharmonie. Der Kran deutet auf das künftige Museum des 20. Jahrhunderts hin. Den Mobiles von Calder in der Glashalle werde ich mich später zuwenden.
In wirkungsvollem Kontrast zu Mies‘ Meisterwerk von Stützen und Lasten, von Transparenz und scheinbarer Leichtigkeit, steht Richard Serras (*1939) 70 Tonnen schwerer „Berlin Block for Charlie Chaplin“ von 1978. Er scheint in der Terrasse zu versinken. Das irritiert angesichts der reinen, unerschütterlichen Horizontalen und Vertikalen von Mies.
Zwischen Mies und Serra sieht man jenseits der Terrasse das WZB, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, das James Stirling (1926-1992). Es entstand 1979-88 und damit weitgehend parallel zur Neuen Staatsgalerie in Stuttgart.
Die Spiegelung der St.-Matthäus-Kirche nach Entwurf von Friedrich August Stüler (1800-1865) zeigt den einzigen alten Bau im Bereich des Kulturforums. Gespiegelt ist auch die Buchstabenanordnung der monumentalen Skulptur „Imperial Love“ von Robert Indiana (1928-2018). Dieses Schlüsselwerk der Pop Art wirkt wie ein idealer Willkommens- und Abschiedsgruß für alle Bewunderer von Mies‘ Meisterwerk.
Besucher, die vom Potsdamer Platz kommen, begrüßt auch der monumentale „Archer“ von Henry Moore (1898-1986) – als ein weiteres Wahrzeichen der Moderne, diagonal aufgestellt zur eingangs gezeigten Arbeit von Calder.
Die Außenansichten II bis IV zeigen von den äußeren Konstruktionsachsen des Baus: im Uhrzeigersinn, im Gegensinn und Nahaufnahmen.