Joseph Anton Koch (1768-1839) als Herkules stellt in künstlerischer Form eine Lebensentscheidung als angehender Malers dar. Detail aus folgendem Blatt des Skizzenbuchs seiner Fußwanderung zum Bodensee im Frühjahr 1791. Kochs Worte zu seinem Befreiungsakt zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Rom und Stuttgart:

„Gleichwie weiland Herkules die Tugend erwählte und das Laster verabscheute, ebenso mache ich es auch hier. Ich erwähle die erhabene Göttin und verwerfe die Mode. Auf dem bunten Olymp stellte sich die Muse mir zur Rechten und der Geschmack zur Linken, die erste mich zu bereden, der zweite mich zu betören. Ich sahe vor mir zwei Wege: der erstere ist einfach, die ihn umgebenden Gegenstände sind in Friede und Eintracht beisammen und unzertrennbar, denn es ist der Pfad der Einfachheit und eines glücklichen Endzwecks. …

Damals hatte die Kunst ihre höchste Würde. Edle Tätigkeit der Seele wurde durch erhabene Formen und Gliedmaßen ausgedrückt … Verfeinerung, Veredlung, Erhöhung der Seelenkräfte durch das Anschauen der Werke des Künstlers. …“ (zitiert nach Ausst. Kat. J. A. Koch, Staatsgalerie Stuttgart 1989, S. 29).

2008 folgen Inga und ich dem Beispiel Kochs und wandern mit leichtem Rucksack auch zum Bodensee. Es ist eine herrliche Tour ins Blaue, für die wir eine knappe Woche brauchen.

Joseph Anton Koch als Herkules zwischen Ideal und Wirklichkeit

Kleine Kunstgeschichten 4 – J. A. KOCH ALS HERKULES. Das nach 1939 verschollene Blatt von 1791.

Blatt XX aus Kochs Skizzenbuch von 1791, Feder, aquarelliert, 18,7 x 23,6 cm, ehem. Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, nach 1939 verschollen, Foto Museum

Der selbstbewusste junge Künstler, Zögling der berühmten Stuttgarter Carlsschule, trifft mit dieser Selbstdarstellung eine Entscheidung. Wie beim antiken Mythos vom Helden Herkules steht er zwischen Tugend und Laster. Statt einer Keule hält er einen Wanderstab und wendet sich einer antikisch gekleideten Frau zu, der Imitatio. Durch Nachahmung und künstlerische Auseinandersetzung will er sich idealer Form und Ausdrucksweise nähern. Die gibt es aber nicht in Stuttgart. Noch ist er an die Mode, an den schlechten Geschmack in Gestalt eines monsterartigen Mischwesens gekettet. Compositio steht auf der Schleppe. Zusammengestückelt ist diese Mode aus Geschmacksverirrungen der Zopfzeit

Koch ist in Wort und Bild auch sonst ein sarkastischer Kritiker unguter Verhältnisse. Das urige Naturell des Tirolers schlägt hier durch. Wie vor ihm Schiller flieht er Ende 1791 aus Stuttgart, geht zunächst nach Straßburg und dann in die Schweiz, in sein „Land der Freiheit.“ Auf der Rheinbrücke schneidet er sich den in Stuttgart obligatorischen Zopf ab und schickt ihn mit einem hämischen Brief an seine Stuttgarter Lehrer. „Die schmählichen Jahre meines Hierseyns sind vollbracht, mit unsäglichem Schimpf schwarzer Verleumdung, und Begriffe übersteigender Entehrung wurde ich beynahe ununterbrochen überhäuft …“

Kochs Sicht von Mode und Geschmack

Kleine Kunstgeschichten 4 – J. A. KOCH ALS HERKULES, Detail aus vorigem

Koch fährt fort: „Aber chaotisch, bunt und verworren ist der zweite irreführende Weg des Kummers und der Trübsal … Er erhob in Gegenwart der Malerei seine Stimme folgendermaßen: »Ich heiße Geschmack. Wer mich lieb hat, der bekömmt Brot, Vermögen und Ansehen, freilich nur beim vornehmen Pöbel der Erde…« Also sprach der krummgefußte, tausendgestaltete Geschmack.“ 

Koch sieht darin eine Riesengestalt mit gepuderter Perücke und Clownshut samt trötender Fama. Sie hat viele Brüste und einen Gürtel mit Geldsäcken, die andeuten, dass man mit ihr zu Reichtum kommt. Auch die gewundenen Säulenbeine stehen für Geschmacksverirrung. Und ein widerliches Horrorwesen liegt am Boden. Mit halb hunde-, halb löwenartigem Kopf, Schneckenfühlern, Vogelkrallen und Schlangenleib samt Rosenschwanz ist damit wegen der Halskrause vermutlich eine hochrangige Person an der Carlsschule gemeint. So wie er mit dem kleinwüchsigen Schleppenträger als Apoll mit Leier, Palette und Malstab Adolf Friedrich Harper (1725-1806), den Professor für Landschaftsmalerei, karikiert. 

Angelika Kauffmann in der Herkules-Tradition

Angelika Kaufmann, Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei, 1794, Nostell Priory

Angelika Kaufmann, Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei, 1794, Öl auf Leinwand, 147,3 x 215,9 cm, Nostell Priory, National Trust Collections, Inv.Nr. NT 960079, West Yorkshire, Foto Wikimedia

Analog zu J. A. Koch stellt sich Angelika Kauffmann (1741-1807) an einem Scheidepunkt dar. Im Rückblick auf ihre Jugend zeigt sie den Zwiespalt zwischen ihren Hauptbegabungen, doch im Gegensatz zu Koch ohne Druck von außen. Wie bei Herkules geht es um die Entscheidung für den richtigen Lebensweg. 

Eine Erstfassung fast gleicher Größe und Komposition von 1791/92 gibt es im Puschkin-Museum in Moskau. Blick und die Rechte der Hauptfigur gehen, Verständnis heischend, zur Musik. Diese zeigt trotz ihrer Pracht keineswegs lasterhafte Züge, vielmehr Wehmut. Doch Angelika Kauffmann hätte als Sängerin durchaus das Schicksal einer Mätresse eines Hofmannes durchleiden können. Trotz der liebevollen Hinwendung zur Musik kommt es zur schweren Trennung. Zu deutlich und fordernd tritt rechts die Malerei auf und deutet hinauf zum Ruhmestempel. Und in der Tat: Angelika Kauffmann wird zu einer Malerin, die in ganz Europa hohes Ansehen genießt – bewundert von den Größen ihrer Zeit, eingeschlossen Goethe in Rom.