Dannecker: Schiller und weitere Porträts – die Verewigung des Freundes in einem Monument im Stuttgarter Schlossgarten lag ihm besonders am Herzen.
Schillervitrine am 10. November 2019, dem 260. Geburtstag des Dichters, Marbach, Schiller-Nationalmuseum
Schillers Gewandbüste in Gips 1794
Gewandbüste Schillers, 1794, späterer Gipsabguss, 79,8 cm hoch, Weimar, Schillers Wohnhaus
Dannecker war ein Mitschüler und enger Freund von Friedrich Schiller. Als sich der Dichter 11 Jahre nach seiner Flucht aus Stuttgart 1793/94 eine erstes und zugleich letztes Mal in seiner Heimat aufhielt, schuf Dannecker eine Büste, mit der er das Bild Schillers bis heute weitgehend prägt – auch dank zahlreicher Abgüsse.
Gewandbüste Schillers, 1794, Klassik Stiftung Weimar, Weimarer Stadtschloss
Als Originalgipse von der Hand des Künstlers gelten nur noch zwei: das Exemplar in Weimar und dasjenige, das ich 1986 – damals verunstaltet durch mehrfachen Anstrich – im Depot des Schiller-Nationalmuseums in Marbach entdecken konnte (Holst 1987, Kat. 58 b).
Am 22. September 1794 schreibt Dannecker an Schiller: Ich muß Dir aber auch sagen, daß Dein Bild einen unbegreiflichen Eindruk in die Menschen macht: die, die Dich gesehen, finden es vollkommen ähnlich, die Dich nur aus Deinen Schriften kennen, finden in diesem bild mehr als ihr Ideal sich schaffen konnte.
Darauf Schiller am 5. Oktober 1794: Ganze Stunden könnte ich davor stehen, und würde immer neue Schönheiten an dieser Arbeit entdecken. Wer sie noch gesehen, der bekennt, daß ihm noch nichts so Ausgeführtes, so Vollendetes von Skulptur vorgekommen ist.
Danneckers Selbstbildnis 1796
Selbstbildnis, 1796, Gewandbüste in Gips, bronzefarben gefasst, 74,5 cm hoch, 1868 von Danneckers Witwe der Staatsgalerie vermacht
Dannecker hat sich und Schiller 1796 in zwei Reliefmedaillons, heute in Marbach, einander ebenbürtig dargestellt und dies gegenüber dem Freund als eine Frechheit bezeichnet (Holst 1987, Kat. Nr. 71). 38jährig schuf er auch eine hochgemute Büste von sich selbst, die derjenigen Schillers nahesteht. Dazu schrieb ich 1987, Nr. 72: „aus Haltung und Zügen, aus dem in die Ferne gerichteten Blick sprechen Selbstgefühl und Selbstsicherheit, Unabhängigkeit und Freiheit in der Auseinandersetzung mit der Welt. So sah sich Dannecker, so wollte er als selbstbestimmte Persönlichkeit gesehen und akzeptiert werden.“ Dem entsprach aber die Realität in Stuttgart keineswegs immer.
Als Goethe 1797 die Stadt besuchte und besonders engen Umgang mit Dannecker und seinem Schwager Heinrich Rapp pflegte, bemerkt er zu diesem Werk: ohne Übertreibung geistreich und lebhaft. So war Dannecker, wenn ihm die richtigen Leute begegneten.
Herzog Friedrich Eugen von Württemberg
Herzog Friedrich Eugen von Württemberg, 1797, Carrarischer Marmor, 78 cm hoch, Schloss Gatschina bei St. Petersburg, Foto Staatsgalerie
Nach seinen älteren Brüdern Carl Eugen und Ludwig Eugen regierte Friedrich Eugen (1732-97) ab Mai 1795 nur für kurze Zeit. Dannecker erhielt den Auftrag für die Marmorbüste des Herzogs und 1798 für die seiner Frau Dorothee Sophie von beider Tochter, die seit 1796 Zarin Maria Feodorowna von Russland war und den Künstler mehrfach beschäftigte. Die beiden Porträts brachten Dannecker sogar den Ruf nach St. Petersburg ein, aber aus Anhänglichkeit an seine Vaterstadt und ihre vertrauten Verhältnisse nahm er die große Chance für eine internationale Karriere nicht wahr.
In der meisterhaften Ausführung der Büste des Herzogs wird ein ganz anderer Menschentyp als Carl Eugen erkennbar. Nachdenklich, melancholisch, der Musik und Literatur stark zugetan, ein Familienmensch mit zwölf Kindern, konnte Friedrich Eugen von seinen Plänen für Stuttgart wegen seines plötzlichen Todes kaum etwas umsetzen. Ihm folgte auf dem Thron sein hünenhafter und schwergewichtiger Sohn Friedrich, der Württembergs und Danneckers Schicksal bis 1816 weitgehend bestimmte.
Schiller lebensgroß in Marmor 1806
Schiller, 1796-1806, Carrarrischer Marmor, 59 cm hoch, Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Bei seinem Besuch in Stuttgart haben Schiller und Dannecker auch über eine Marmorbüste gesprochen. Am 3. Dezember 1794 schreibt Dannecker dem Freund: In Marmor wird er (das heißt mein Schiller) noch weit besser aussehen [als in Gips], die Feinheiten durch das Transparente des Marmors geben gewieß dem Kopf noch mehr groses; sie lassen sich auch leichter und besser ausführen. Ich will mir auch so viel Mühe geben etwaß heraus zu bringen daß ein jedes sagen muß: es ist gut! und es ist nicht eines jeden Sache so ein Bild zu machen. – ja lieber Schiller lache nur – lieber will ich sterben, und das sterben ist so meine Sache nicht – als der Welt nicht gezeigt haben, daß ich verdiente Dein Bild gemacht zu haben.
Die Ausführung zog sich hin. Bei Schillers Tod waren erst Gesicht und Hals fertig. Im März 1806 wurde das Werk nach Weimar geschickt, mit Danneckers Kommentar: ich glaube daß diese Büste für die Familie am interessantesten sein wird, weil sie so streng nach der Natur verfertigt ist. Nach dem Tod von Schillers Witwe wurde sie 1826 in einem feierlichen Akt an ihrem heutigen Ort aufgestellt. 1874/75 meinte Herman Grimm (1828-1901) in seinen Berliner Goethe-Vorlesungen, diese Büste sei „eine der besten, welche überhaupt in Deutschland je gearbeitet worden ist.“ – Vgl. Holst 1987, Nr. 69.
Luise Duttenhofer, Dannecker mit Schillerbüste und Ariadne, um 1805/06, Marbach, Schiller-Nationalmuseum, Foto Museum
Die große Meisterin des Scherenschnitts aus Waiblingen (1776-1829) zeigt den kleinen Dannecker (Körpergröße 1,63 m) bei der Arbeit an der obigen Marmorbüste; dahinter das 1804 fertiggestellte Gipsmodell der Ariadne auf dem Panther.
Schillers Hermenbüste lebensgroß und kolossal
Schiller, 1805, Gips, punktiert zur Übertragung in Marmor, 55 cm hoch, Marbach, Schiller-Nationalmuseum, Foto Museum
Erschüttert war Dannecker wie alle, als er gegen Mitte Mai 1805 von Schillers Tod erfuhr. Tags darauf schreibt er: ich will Schiller lebig machen, aber der kann nicht anders lebig sein, als colossal. Schiller muß colossal in der Bildhauerey leben, ich will eine Apotheose.
Ausgehend von seiner Gewandbüste von 1794, bezeugt dieses exquisite Arbeitsmodell den ersten Schritt dazu. Es ist die Vorstufe der monumentalen Marmorfassung der Staatsgalerie Stuttgart.
Schiller, 1805-10, Kolossalbüste in carrarischem Marmor, 87 cm hoch, von Dannecker König Wilhelm I. und seinem Vaterland vermacht, vom König 1842 der Staatsgalerie überlassen
Als Hermenbüste idealisiert und heroisiert Dannecker den Freund um weitere Grade. Auch die apollinische Haarpracht überhöht die Realität, an die sich Georg Friedrich von Scharffenstein (1760-1817), Freund des Dichters wie des Künstlers, 1810 so erinnert: das buschige Haupthaar war rot von der dunklen Art. Der ganze Kopf, der eher geistesmäßig als männlich war, hatte viel Bedeutendes, Energisches, auch in der Ruhe. Dannecker hingegen empfand an Schiller etwas Adlermäßiges.
Nach 1833 hat Dannecker in umnachtetem Zustand einen Teil der schulterlangen Locken weggemeißelt.
Schiller, 1805-10, Gipsabguss, Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Der 1814 nach Weimar gesandte Abguss entstand nach der noch nicht verstümmelten Marmorbüste (vgl. Holst, Dannecker 1987, Nr. 103). In dem großartigen Rokokosaal der Bibliothek – seit 1998 UNESCO-Welterbe – ist die vom Künstler beabsichtigte Apotheose des Dichters vielleicht noch stärker als vor dem Original in Stuttgart zu empfinden. Zudem ist hier die Passage aus Goethes Epilog zu Schillers Glocke zu lesen: „Denn er war unser …“ – Bitte zoomen.
Gedenkblatt und Denkmal in Weimar
Gedenkblatt zum 100. Geburtstag Schillers am 10. November 1859, Stahlstich, 51,5 cm hoch, Weimar, Schillers Wohnhaus
In der Mitte sieht man Dannecker neben seiner kolossalen Schillerbüste – er verkleinert, sie vergrößert. 1859 war der Bildhauer so bekannt als Schöpfer dieses Werks, dass auf seine Namensnennung verzichtet werden konnte. Sein bekannter Satz, den größeren Landsmann verewigen zu wollen, genügte zur Identifizierung. Das Hauptmotiv wird von Schlüsselszenen aus Schillers Leben gerahmt. Dazu oben sein Geburtshaus und unten das 1857 enthüllte Goethe-Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel (1804-61) vor dem alten Hoftheater von 1779, das Goethe bis 1817 leitete.
Ernst Rietschel, Goethe-Schiller-Denkmal, 1857, Weimar, vor dem Deutschen Nationaltheater
Die gleichrangig und gleich groß dargestellten Dichterfürsten irritierten 1857 zunächst manchen Zeitgenossen. Denn Goethe war 1,68 m groß und Schiller mit 1,83 m für seine Zeit sehr hochgewachsen. Danneckers Deutung seines Freundes als apollinisch überhöhte Gestalt lebt auch bei Rietschel fort.
Charlotte von Württemberg
Prinzessin Charlotte von Württemberg, 1806, Gips, 65 cm hoch, Hildburghausen, Stadtmuseum
Ein Meisterwerk in der Reihe von Danneckers oft elegischen Frauengestalten ist die Prinzeß Paul, geb. Prinzessin von Sachsen-Hildburghausen (1787-1847). Sie hatte im Herbst 1805 Paul von Württemberg (1785-1852), den jüngeren Bruder des Kronprinzen Wilhelm, geheiratet. 19jährig, in frischem Ehestand, einer vielversprechenden Zukunft entgegensehend, strahlt die Büste Anmut, Jugend, Schönheit, Beseeltheit, Zuversicht aus. Die Realität war anders. Der sprunghafte, gegen seine Frau auch gewalttätige Prinz Paul zerrüttete die Ehe. 1818 kam es zur endgültigen Trennung, Charlotte kehrte unter Verzicht auf ihre Kinder nach Hildburghausen zurück.
Diese wohl schönste Frauenbüste Danneckers, ein Glanzstück des europäischen Klassizismus, konnte ich 2008 im Schloss Hohenlohe-Schillingsfürst aufspüren (vgl. Jb. Staatl. Kunstsammlungen BW 48/49, 2011/12, S. 79 ff.) Die Wiederentdeckung eines Hauptwerks des Künstlers fand in Stuttgart kein Interesse. So gelangte die Büste 2010 in die Geburtsstadt der Dargestellten, als Dauerleihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Stephanie von Baden
Erbgroßherzogin Stephanie von Baden, 1809, Gips, 62,5 cm hoch, seit 1842 als Vermächtnis des Künstlers in der Staatsgalerie, Foto Museum
Neben der Prinzeß Paul gebührt in der Blütenlese von Hauptwerken Danneckers auch dieser Büste ein besonderer Platz. Sie stellt in leicht melancholischer Verfassung die Südfranzösin Stephanie von Beauharnais (1789-1860) dar, Stieftochter Napoleons und seit 1806 unglückliche Gemahlin des Erbprinzen Carl von Baden.
Ohne auf die weiteren Verhältnisse der 20jährigen Dargestellten einzugehen, hier nur einige Worte zu dieser Gipsbüste. 1822 ließ sie in der Danneckerei – im Atelier- und Wohnhaus des Künstlers am Schlossplatz – den heißspornigen Dichter Wilhelm Waiblinger (1804-30), damals 18jährig, so entflammen, dass er leidenschaftliche Liebesgedichte und intime Tagebucheintragungen an die Unerreichbare richtete. Mehr noch: im April 1822 bekennt er in seinem Tagebuch: Ich konnt‘ es nicht unterlassen, den kalten staubigten Gypsmund schon ein paarmal recht warm und lebendig zu küssen. Meine Liebe zur Großherzogin Stephanie wird immer feuriger … Es ist eine recht sinnliche Liebe. Am 2. Mai 1822 heißt es u.a.: Es zieht mich immer zu meiner Stephanie … Ach diese Büste ist das Urbild, das Ideal aller Weiblichkeit, aller Liebenswürdigkeit. O warum erwärmt, warum erweicht sich der Gyps nicht? Es ist, als ob Leben in diesem Gesicht wäre!
Dannecker als Darsteller von Kindern
Prinz Carl Paul Friedrich von Württemberg, 1810, Gebrannter Ton, 35 cm hoch, Dannecker-Nachlass, 1886 von der Staatsgalerie erworben, Foto Museum
Drittes Kind von Prinz Paul von Württemberg (1785-1852), dem 2. Sohn von König Friedrich, und seiner Gemahlin Charlotte, geb. Prinzessin von Sachsen-Hildburghausen (s. oben). Dieser kleine Carl starb im Mai 1810 im Alter von knapp 15 Monaten. Der kinderlose Dannecker zeigt mit der vermutlich posthumen Büste, dass er auch auf dem schwierigen Feld der Kinderdarstellung ein Meister war. Die sich schon abzeichnende Individualität ist blendend erfasst. Mit dem Umhang verleiht Dannecker dem Bübchen eine kleine heroische Idealität.
Weiter geht’s am 6. Dezember 2019 mit Sappho, Ariadne & Co.
Nachtrag Anfang Januar 2020
Schiller und China
Danneckers Schillerbüste von 1794 in Großformat: damit werden Chinesen in Berlin zum Museumsbesuch animiert.
Zwischen den Jahren: nach dem Besuch der Markthalle unser monumentales Schiller-Denkmal plötzlich wie aus und vor heiterem Himmel – in strahlendem Winterlicht. Der Dichter nicht als Visionär wie bei Dannecker, sondern als Denker, Dante verwandt. Was für eine Deutung des Dänen Thorvaldsen, der von Schiller gewiss kaum eine Ahnung hatte.