Eberhard Wächter, Belisar unterwegs auf dem Land, um 1793/94, Feder und Bleistift 50,2 x 50 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto Dietmar Katz
„Everard Wächter Belisar an der Leiche des Knaben; nur die Figur des B. mit der Feder ausgeführt. Capital.Zeichnung“ steht unten, geschrieben von der gleichen Hand, die auch das große Hiob-Blatt rückseitig beschriftete. Der greise Blinde kniet neben seinem jugendlichen Führer, den eine Schlange in den Fuß gebissen hat. Noch ist Belisar eine heldische Erscheinung in Rüstung und Mantel. Doch er ist verzweifelt und allein völlig hilflos. Betend ringt er die Hände.
Im Typus ist zweifellos die großartige Gestalt Davids das Vorbild, doch in der inneren Haltung erinnert er auch an den sterbenden Laokoon. Auch jener bleibt ein Heroe im größten Elend.
Ausgeführt wäre diese Bildidee ein eindrucksvolles Gemälde geworden, doch Wächter entschließt sich für einen anderen Weg – in Parallele zum duldenden Hiob.
Pläne für ein römisches Hauptwerk
Eberhard Wächter, Belisar als Bettler, um 1797, Bleistift, schwarze Kreide, weiß gehöht, 49,5 x 66,9 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv. 6479
Die großformatige, bis ins Detail ausgearbeitete Zeichnung ist natürlich nicht die erste Beschäftigung mit dieser Komposition. Ihr dürfte ähnlich wie beim Hiob zumindest eine Skizze vorausgegangen sein. Entscheidend ist der Unterschied zu den bereits gezeigten Belisar-Szenen anderer Künstler. Wächters Held im Unglück ist im Grunde kein Bettler, eher ein Philosoph, der mit stoischer, aufrechter Haltung und gesenktem Kopf sein schweres Schicksal würdevoll erträgt. Er hält den Blindenstab in den überkreuzten Händen. Sein jugendlicher Blindenführer bittet um einen Obolus. Die Szene verlegt Wächter vor die Stadtmauer bei der Porta Pinciana in Rom. Das Säulenfragment als Sitz und rechts der schon etwas bewachsene Teil eines Triumphtores deuten auf Verfall und Vergänglichkeit hin.
Anstelle des ankommenden, erschreckten Soldaten bei David sitzt ein bärtiger Krieger gekrümmt da und betrauert das Schicksal seinen früheren Feldherrn. Diese einprägsame Gestalt schmälert ein wenig die Rolle des Protagonisten. Das hat auch Wächters Künstlerkollege, der in Rom früh verstorbene, geniale Asmus Jakob Carstens (1754-1798) so empfunden. Wächter selbst schreibt am 19. Februar 1804 an seinen Freund Uexküll: „Den auf der Zeichnung sizenden Soldaten hab ich auf Anrathen unseres … Karstens hinweg gelaßen und einen anderen Platz für ihn gesucht.“
Wie zuvor, Bleistift, 14,2 x 16,5 cm, um 1797/98, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv. Nr. 2571
Die unpublizierte Umzeichnung des vorigen Blattes dürfte laut Ulrike Gauß vermutlich als Vorlage für eine Druckgraphik entstanden sein.
Ein Seitenblick auf Wächters Hiob
Eberhard Wächter, Detail der großen Hiob-Zeichnung. Bei der folgenden Belisar-Komposition, die für ein geplantes Pendant zum Hiob entsteht, verzichtet Wächter auf den vorne sitzenden alten Soldaten. Zu sehr hätte er diesem Hiob entsprochen und auch dadurch die Aufmerksamkeit von Belisar abgelenkt.
Überarbeitung des Bildgedankens
Eberhard Wächter, Belisar als Bettler, um 1797/98, Feder in Braunschwarz, Pinsel in Braun und Deckweiß, 52,6 x 71,7 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv. 6480
Weiterbeschäftigung mit dem Belisarthema. Eine horizontale Linie ist unten so unterteilt, dass sich neun, je 8 cm breite vertikale Streifen zur Übertragung des Bildentwurfs auf die Leinwand ergeben. Oben finden sich entsprechende Ziffern. Fast in der Größe der folgenden „gemahlten Scize“ legt Wächter damit die endgültige Komposition für ein monumentales Gemälde fest. Es hätte ein Gegenstück zum Hiob werden sollen.
Detail der vorigen Zeichnung. Der alte, in sich zusammengesunkene Soldat hat seinen Sitz links vorne verloren und stattdessen einen Stehplatz rechts an der Stadtmauer.
Wächter denkt zeitweilig wohl auch an eine Mutter mit Kind im Hintergrund. Die Andeutung in Bleistift führt er jedoch nicht weiter aus. Das hätte ein gewisses Gedränge zur Folge gehabt und die Wirkung des klaren Nebeneinanders der Hauptfiguren beeinträchtigt.
EBERHARD WÄCHTER, BELISAR – das vermeintlich verschollene Gemälde
Eberhard Wächter, Belisar als Bettler, um 1797, Öl auf Leinwand, 60,5 x 76,1 cm, Privatbesitz
Mit diesem Zimmerformat endet Wächters Beschäftigung mit dem Thema. Die ins Auge gefasste monumentale Ausführung kommt nie zustande. Wohl weil Wächter und der mutmaßliche Auftraggeber, Senator Prinz Abbondio Rezzonico (1742-1810), wegen der Besetzung Roms durch französische Truppen den Plan aufgeben müssen.
Der tief betroffene Soldat vorne links steht nun rechts an der Stadtmauer. Das führt zu einer Klärung der Komposition im Sinne eines ruhigen, fast reliefmäßigen Nebeneinanders der Gestalten. Das Ganze ist im Vergleich mit Jacques Louis David eine ruhige Szene, ohne emotionale Erregtheit und ohne mitreißende Beteiligung des Betrachters. Vielmehr ein Werk, das wie der Hiob zum Nachdenken anregen will. Beidemal geht es dem ernsten, um grundsätzliche Aussagen ringenden Wächter um Beispiele einer ethischen Haltung in größter Not und um Akzeptanz des Schicksals, wie hart es auch sei.
Die zwei Passanten plant Wächter laut obiger Zeichnungen zunächst in reifem Mannesalter. Sie weisen im Sinne des verbreiteten lateinischen Spruchs Sic transit gloria mundi auf die Flüchtigkeit weltlichen Ruhms hin. Doch der vordere Mann im Profil verjüngt sich von Entwurf zu Entwurf. Schließlich ist er hier ein Jüngling – wie schon auf der Zeichnung im Städel Museum. In Analogie zu den Gesten und dem Gesichtsausdruck seines Begleiters soll auch der Betrachter betroffen reagieren und über den Wandel der Fortuna nachsinnen.
Donate Obolum Belisario
Kleine, aber wichtige Veränderungen gegenüber den Entwürfen. Der um einen Obolus bittende Junge hält den Helm tiefer, damit dieser nicht mehr seinen rechten Arm überdeckt. Dadurch wird die Bittgeste klarer. Entsprechend sind auch die übereinandergelegten Hände Belisars verschwunden.
Zum Aussehen Belisars passt eine Stelle bei Jean-François Marmontel, 1767, S. 71: „Belisar folgte … dem Leichnam seiner Gattin zu Grabe. Der Schmerz des Helden war der Schmerz eines Weisen; er war tief, aber ohne Geräusch, und mit Majestät bekleidet. Auf seinem Gesicht war die Trauer gemalet, aber eine stille und ernsthafte Trauer. Seine erhabene Stirne schien sich den Schlägen des Schicksals darzubiethen, ohne demselben Hohn zu sprechen.“
Und S. 73: „Vorjetzt wünsche ich, mit mir selbst allein zu seyn; meine erschütterte Seele hat der Einsamkeit vonnöthen, sich wieder zu fassen.“
Eberhard Wächter, Belisar – Radierung von Carl Rahl
Carl Heinrich Rahl (1779-1843) nach Eberhard Wächter, 1808, Radierung, Blatt 52,5 x 71,5 cm, Bild 49 x 66,4 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung
Trotz der Änderungen in der lavierten großen Zeichnung und der dieser folgenden Gemäldefassung wird der erste Kompositionsentwurf in Wien, wo Wächter von 1798/99 bis 1808 lebt, als so wichtig angesehen, dass sein schwäbischer Landsmann Rahl ihn in einer gleichgroßen und guten Radierung festhält. Dem Künstler hat aber deren Verbreitung in seiner äußerst bescheidenen Lebensführung kaum geholfen.
Der Protestant Wächter hatte 1796 in Rom die 17jährige Francesca Bandini geheiratet und war zum Katholizismus übergetreten. Seine Religiosität äußert sich in vielen seiner Werke.
Auch in Rahls Darstellung Belisars wird dessen Würde und eine Nähe zur Dornenkrönung Christi spürbar. Die innere und äußere Haltung des Helden hebt seine Erniedrigung auf.