Venus de‘ Medici in Stuttgart – ein Werk, dass nach einem Foto von 1952 den Krieg in perfektem Zustand überstanden hat.

DOCH WOHIN IST SIE VERSCHWUNDEN ???

Nach der Betrachtung von Oval- und Eckensee im Schlossgarten widme ich mich den zahlreichen Statuen, die seit Mitte des 19. Jh. den Park schmückten. Von ihnen sind heute nur noch wenige zu sehen und keine mehr an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort.

Seit dem 18. Jh. entstehen europaweit Gartenanlagen, in denen berühmte antike Statuen Akzente setzen. Parallel dazu werden antik-römische Kopien nach verlorenen, aber schriftlich überlieferten Originalen der griechischen Kunst aus vorchristlichen Jahrhunderten in Abguss-Sammlungen bewundert, so im Mannheimer Antikensaal. Für wohlhabende Italienreisende bedeutet das Erinnerungsfreude, für sonstige die einzige Chance sich ein Bild von antiken Meisterwerken zu machen.

In Stuttgart ist die Reaktion auf die königliche Initiative aber nicht nur positiv.

Venus de‘ Medici in Stuttgart 

 Johann Zoffany, Tribuna der Uffizien, 1772-78. Windsor Castle, Royal Collection. Foto Wikimedia

Der aus Frankfurt stammende, englische Hofmaler Johann Zoffany (1733-1810) präsentiert in diesem Hauptwerk die im späten 16. Jh. errichtete Tribuna als eine Schatzkammer, als idealen Ort der Wahrnehmung von Kunst. Deshalb sind dort auch einige nicht zu den Uffizien gehörende Werke aus sonstigem Medici-Besitz zu sehen.

Größte Meisterwerke aus der Antike und seit der Renaissance werden bewundert und fachmännisch begutachtet von Kennern aus Großbritannien und Italien. Alle Dargestellten sind identifizierbar, ebenso die Werke, z. B. Gemälde von Raffael bis Rubens oder Tizians „Venus von Urbino“ im Vordergrund.

Venus de‘ Medici in der Tribuna der Uffizien

Unter den Skulpturen, von denen sich noch heute einige in der Tribuna befinden, gilt besonders unserer „Venus der Medici“ das Interesse.

 Es ist schwer nachvollziehbar, dass ausgerechnet diese weltweit berühmte und in Kopien verbreitete Statue in Stuttgart Anstoss erregt.

 

Heute wird Kunst anders präsentiert als im 18. Jh.: weniger Werke, daher leichter überschaubar und meist in Augenhöhe. Hier aber lebt noch die Erinnerung an barocke Traditionen fort.

Neben der „Venus Medici“ sind weitere antike Werke zu sehen, von links: „Zwei Ringer“ (in den 1960 und 1970er Jahren in einem anderen Raum aufgestellt und lt. kundiger Auskunft damals ein Treffpunkt für Homosexuelle); „Herkules erwürgt als Baby die Schlangen“; Putto beim Traubenpflücken; „Der Schleifer“ aus der Marsyas-Geschichte, nach der demjenigen, der Apoll herausfordert im Bereich der Musik, die Haut abgezogen wird.

Die Haltung der Hände, die Brust und Schoß in leichter Andeutung verdecken, zeigen die Göttin als „Venus Pudica“, als schamhafte Venus. Der Delfin deutet auf ihre Geburt aus Meeresschaum hin. Sie erscheint als Göttin der Schönheit und dank der mit dem Delfin spielenden Eroten auch als Göttin der Liebe.

Der Gipsabguss in Mannheim ist heute etwas lieblos mit einigen anderen Kopien in einem höheren Treppenhaus des Schlosses, der heutigen Universität, untergebracht. Er soll die Erinnerung an den einstmals berühmten Mannheimer Antikensaal wachrufen. Der ist im 18. Jh. ein Pilgerort für Antikenfreunde von weither, so u. a. für Lessing, Herder, Goethe oder Schiller.

Venus de‘ Medici – beliebtestes Musterbild weiblicher Schönheit

 

 

Beispiele für die Bewunderung der „Venus Medici“, die die weltweit am häufigsten kopierte Statue ist, hier aus Frankreich: in Versailles, Schlosspark, 18. Jh., Foto Wikimedia, und in Lyon, Musée des Beaux-Arts, Innenhof, 19.Jh.

Venus de‘ Medici in England und Russland

Zwei weitere Beispiele, jeweils Foto Wikimedia:

in London, Chiswick House & Gardens: die Kopie der „Venus Medici“ steht auf einer hohen, schlanken Säule und erscheint daher meist vor freiem Himmel.

St. Petersbug-Umgebung, Schloss Peterhof: im „russischen Versailles“, UNESCO Welterbe, findet sich unter vielen anderen Antiken auch eine gute Kopie unserer Venus aus dem 18. Jh.

Venus de‘ Medici – Inspiration für Botticelli und Canova

 

Abb. 11

Nachdem die „Venus Medici“ nach dem Ende von Napoleons Herrschaft 1815 wieder nach Florenz zurückkehrt, findet Antonio CanovasVenus Italica“ ihren dauernden Platz im Palazzo Pitti, in der zweiten großen Gemäldesammlung der Stadt.

Canova verändert bei seiner Venus, die auch „Venus nach dem Bad“ genannt wird, einiges in seiner großartigen Huldigung an deren antike Schwester. Durch das Hinzufügen eines Tuchs veranschaulicht er deutlicher den Venus Pudica-Gedanken, zeigt in der Bewegung stärker das Moment der Überraschung, dem jedoch Venus im Selbstbewusstsein ihrer Schönheit mit dem Ausdruck von Hoheit und Unberührbarkeit begegnet. Zugleich steigert Canova dank seiner unerhörten Meisterschaft in der Modellierung nuancierter Oberflächen die sinnliche Ausstrahlung des makellos schönen Körpers. Die aus dem harten Marmor gewonnene scheinbare Weichheit der Formen und das Subtile der menschlichen Erscheinung sichern der „Venus Italica“ ihre dauerhafte künstlerische Präsenz und Bewunderung bis heute.

Jahre später wird sich Canova nochmals dem Thema zuwenden, noch etwas freier, in der 1817-20 entstandenen „Venus Hope“, für die sich dann auch König Wilhelm I. entscheidet.

 

 

Ludwig Hofer, Venus Medici, 1851-54, Tübingen, Hauptgebäude der Universität, Foyer des Erdgeschosses

Venus de‘ Medici in Tübingen

Damit kehre ich zum Anfang dieser kleinen Bildergeschichte zurück.

Ludwig Hofer (1801-1887), 1823 bis 1838 in Rom und lange Jahre Mitarbeiter in Thorvaldsens Werkstatt, gewinnt gegen 1850 mit seinen „Rossebändigern“ im Unteren Schlossgarten das Vertrauen des Königs. Bald zum Hofbildhauer ernannt, lässt ihn Wilhelm I. in den frühen 50er Jahren zahlreiche der Antikenkopien für den Schlossgarten und Schloss Rosenstein ausführen. (Alles gut dargestellt in: Patricia Peschel, Der Stuttgarter Hofbildhauer Johann Ludwig von Hofer, Stuttgart-Leipzig 2009.)

Die Tübinger „Venus Medici“ (Peschel 2009, Nr. 22.5 mit Abb.) ist jedoch nicht identisch mit derjenigen in meinem 3. Bild. Sie ist nämlich zusätzlich auf der Plinthe bezeichnet mit ihrem Namen. Außerdem besteht sie nicht aus weißem, sondern geädertem Marmor und ist wie ihr Tübinger Pendant, die „Kapitolinische Venus“, mit 219 cm etwas höher als die meisten Statuen. Das bedeutet, die Begeisterung des Königs für die „Venus Medici“ ist derart, dass er sie zumindest zweimal kopieren lässt.