Verlorene Werke – Schönheiten im Schlossgarten. Heute stehen noch sechs Statuen im Schlossgarten beim Eckensee und drei bei Schloss Rosenstein. Ursprünglich befinden sich in den Parkanlagen mehr als dreimal so viel. In zwei Beiträgen blicke ich auf verlorene und vermutlich zerstörte Werke. Die Hoffnung besteht, dass durch diese Fotos und Kommentare die eine oder andere Skulptur wieder auftaucht. Oder wenigstens Fragmente davon.
Verwundete Amazone
Eine Beschreibung der Statue von 1858 (Peschel 2009, Nr. 22.8) und das obige, wenn auch schwer lesbare Foto von 1936 identifizieren Hofers Vorbild. Es handelt sich um eine römische Kopie nach Phidias aus der 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr.
Amazonen ähneln kriegerischen Männern. Daher der Helm und die Waffen. Die Verwundete Amazone führt mit sich eine Doppelaxt, die Labrys, sowie einen Schild in Form eines Halbmonds, die Pelte.
Polyhymnia
Polyhymnia, Ludwig Hofer nach der Statue des Vatikan, vor 1858.
Die vermeintlich verlorene Skulptur (Peschel 2009, Nr. 30.1) hat sich im Städtischen Lapidarium Stuttgart erhalten, wenn auch in ziemlich mitgenommenem Zustand. Der Kopf ist wohl Kriegsverlust. Dargestellt ist eine der neuen Musen und zwar die „Hymnenreiche“. Diese erscheint meist als eine sich aufstützende, nachdenkliche Gestalt.
Konkretes Vorbild ist eine 1729 bei Grottaferrata gefundene Statue. Es ist wohl eine Kopie aus der Mitte des 2. Jh. nach einem hellenistischen Original. Der fehlende Kopf wurde 100 Jahre später vom berühmten Bildhauer Christian Daniel Rauch (1877-1857) und seiner Werkstatt in Berlin hinzugefügt. Dank Rauchs Eingriff blickt „seine“ Muse in unüblicher Weise direkt auf den Betrachter. Das einst hochgeschätzte Werk ist auch durch eine Wiederholung von Friedrich Ochs aus dem Jahr 1857 überliefert, die im Park von Sanssouci in Potsdam steht, Foto Wikimedia.
Diana von Versailles
Ovalsee im Oberen Schlossgarten, Winter 1905, Foto Haus der Geschichte
Im Vordergrund sieht man die „Wasser- und Wiesennymphe“ von Dannecker, die erste im Schlossgarten aufgestellte Skulptur. Auf der gegenüber liegenden Seite des Ovalsees wird 1851 ein Statuenpaar platziert. Es sind die bekanntesten Geschwister der antiken Mythologie. Links erkennt man den „Apoll vom Belvedere“ und rechts „Diana von Versailles“. Während Apoll in der Abgeschiedenheit und Stille des Lapidariums überlebt hat, gibt es von seiner Schwester in Stuttgart keine Lebenszeichen mehr.
In zahlreichen Wiederholungen ist die „Diana von Versailles“ verbreitet: hier ein Exemplar im Jardin du Luxembourg in Paris, aufgenommen im Herbst 2017.
Mit ihrem entschiedenen Blick ist die Göttin als Schwester und siegreiche weibliche Gestalt ein ideales Pendant zum „Apoll“, dessen Original im Vatikan steht. Zugleich ist Diana auch ein Gegenstück zur in sich gekehrten, ähnlich bekleideten “Verwundeten Amazone“.
Venus Anadyomene
Die verschwundene „Venus Anadyomene“ entsteht nach einer Statue in den Vatikanischen Sammlungen in Rom. Die Ausführung könnte von Eduard Mayer stammen, wohl Anfang der 1850er Jahre. Über ihr Schicksal in Stuttgart ist nichts bekannt. Wahrscheinlich gehört sie zu den Kriegsverlusten.
Der Typus dieser Venus leitet sich von einer mythologischen Erzählung her. Anadyomene heißt: die Entsteigende. Als Jupiter im Himmelsraum mit seinem Vater Uranus kämpft, schlägt er diesem das Geschlecht ab. Ein Samentropfen des Uranus fällt ins Meer. Daraufhin wird aus dem Schaum der Wellen Venus geboren. Hier präsentiert sie sich beim Trocknen ihre Haare im Wind.
Links ist die über 200 Jahre alte Wiedergabe der Statue in Rom zu sehen, nach der aufwendigen Publikation: Il Museo Chiaramonti aggiunto al Pio-Clementino …, Band 1, Rom 1808, Taf. XXVI, Foto Wikimedia. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass König Wilhelm seine Wahl der populären Venus nach Konsultation dieses Bandes getroffen hat.
Die Venus rechts steht im Innenhof der École des Beaux-Arts in Paris. An dieser berühmten Hochschule für bildende Künste studiert 1798-1802 auch der junge Stuttgarter Maler Gottlieb Schick. Damals skizziert er den Oberkörper dieser Venus als Torso (Schick-Katalog, Staatsgalerie, 1976, Abb. 24).
Wo steckt diese Venus ?
Sie ist in Stuttgart nach 1952 verschwunden ?!
Im Gegensatz zu anderen Statuen des Schlossgartens hat sie den 2. Weltkrieg überstanden. Denn am 1. August 1952 wird sie in perfektem Zustand beim Neuen Schloss fotografiert.
Wo kann sie sein? Hat sie eine Behörde oder eine Person „in Obhut“ genommen? Steht sie vielleicht in einem Garten eines früher Verantwortlichen? Steht sie vergessen auf irgendeinem Bauhof? Oder wurde sie vielleicht bei einem Transport zerstört?
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