Plätze, die keine sind, an der B14 in Stuttgart: Charlottenkreuzung, Gebhard-Müller-Kreuzung, Wilhelms-Kreuzung und Österreichischer Kreisverkehr.

Worte und Unworte – Orte und Unorte

So wie es Worte und Unworte, Orte und Unorte gibt, so auch Plätze, die keine sind. Sollte man diesen Typus eines vermeintlichen „Platzes“, den man mehrfach im Verlauf der B14 in Stuttgart antreffen kann, nicht einfach „Unplatz“ nennen – z. B. „Charlottenunplatz“ ?

Wäre dann nicht alles so klar wie bei den Unterschieden zwischen: platziert / unplatziert, liebsam / unliebsam, hold / Unhold, verfroren / unverfroren, usw. – Bei Interesse an solchen nicht ganz ernst gemeinten Wortpaaren bitte selbst weitersuchen.

Fußgänger und Radler packt an der B14 ein fast unmäßiger Unmut über die Unmasse an Autos. Unisono finden sie, dass diese Straße nicht nur stadträumlich ein Unding ist, sondern sogar eine „Unholdin“. Fast so schlimm wie eine Medusa. Sie lässt in Stuttgart zwar keineswegs alles, aber doch manches erstarren. So die Kommunikation der beidseitigen Straßen- und Stadtbereiche oder die freie Bewegung der Bevölkerung. Für die Stuttgarter ist es ebenso unstatthaft wie untragbar, so unpassend wie unschön, dass die B14 weitgehend unpassierbar ist.

Früher war die B14 auch bewohnbar, jetzt ist sie so gut wie unbewohnt. Bei Fußgängern unbeliebt und daher von ihnen unbelebt, herrscht an der B14 vom Neckartor bis zum Marienplatz eine Ungleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Autos und denen der Passanten. Straßenraum verzehrt bebauten Raum. In dieser seit Jahrzehnten unzumutbaren Situation hoffen die Stuttgarter unverdrossen auf nachhaltige Verbesserung. Sie werden sonst den Unverantwortlichen wie den Verantwortlichen unverhohlen und unwirsch die rote Karte zeigen.

Kreisverkehr am Österreichischen Platz – ohne Menschen

Österreichischer Kreisverkehr über Garage und Tunnel.

Es handelt sich um keinen Platz, denn die Örtlichkeit ist unbegehbar.

Daran ändert die Tatsache nichts, dass man als Fußgänger zwischen Ampeln von einer zur anderen Straßenseite gelangen kann. Sonst könnten Zebrastreifen auch „Platz“ genannt werden.

Ein idyllischer Ort vor gut 100 Jahren

Charlottenplatz 1908 – eine reine Idylle gegenüber heute

Charlottenplatz, 1908, Foto Haus der Geschichte.

Blick vom Hotel Silber über die SO-Ecke des Waisenhauses auf den kleinen baumbestandenen Platz mit Brunnen, Sitzbänken, Klohäuschen und Straßenverkauf. Auf der Seite gegenüber das alte Kriegsministerium, erbaut von Stiftswerkmeister Joseph Christoph Friedrich Mayer (1756-1841), und links daneben hinter Bäumen das Wilhelmspalais.

Benannt ist der Platz nach Prinzessin Karoline Charlotte Auguste von Bayern (1792-1873). Sie war verheiratet von 1808-14 in nie vollzogener Ehe mit Kronprinz Wilhelm von Württemberg , der damit eine von Napoleon aufgezwungene Ehe vermied. Seit 1816 ist sie Gemahlin von Kaiser Franz I. von Österreich. Im Dritten Reich wird der Platz NS-propagandistisch in „Danziger Freiheit“ umbenannt.

„Plätze“ in Verkehrsschneisen ohne Menschen sind Kreuzungen

Charlottenkreuzung – nicht betretbar, daher kein Platz / einer der der Plätze die keine sind

Charlottenkreuzung mit Lichtmast.

Kein Platz, weil unbegehbar – die Platzschilder demgemäß nur am Lichtmast.

Exkurs: Frank Lloyd Wright

Auch Frank Lloyd Wright plant 1958 nicht für Fußgänger

Broadacre City, Ausschnitt, Frank Lloyd Wright, 1932 ff., nach: art 8, 2017.

Sollten sich die Planer der B14 bei der Charlottenkreuzung etwa an Frank Lloyd Wright (1867-1959) gehalten haben, einen der größten Architekten aller Zeiten? In seiner Vision „Broadacre City“ plante Wright für die amerikanische Weite entsprechend verstreut liegende, durch Autobahnen und ufoartige Lufttaxis verbundene Häuser und Höfe. In der Zeichnung gibt es eine Kreuzung mit drei Fahrebenen. Das Verkehrsbauwerk Charlottenkreuzung bietet sogar vier übereinander: je zwei für Autos und für Stadtbahnen.

In beiden Kontexten spielen Fußgänger keine Rolle. Die autobahngemäße Planung könnte für die USA noch als vertretbar gelten. Sie wird aber nie in Angriff genommen. Die Realisierung der B14 dagegen in der Kessellage Stuttgarts hat etwas Gewalttätiges. Denn sie ging mit der Zerstörung gewachsener Strukturen einher und teilt seither das Stadtbild.

Die Charlottenkreuzung – ein Prachtplatz der autogerechten Stadt

Charlottenkreuzung Nr. 2 – nicht einmal das Gras kann auf den Verkehrsinseln geschnitten werden

Charlottenkreuzung in Richtung Akademiegarten/Carlsakademie

Wo früher die Carlsakademie mit ihrer rechtwinkligen Einfassung von Neckarstraße und Planie war – flächenmäßig größer als das Neue Schloss –, steht  heute nichts mehr. Parkbereiche und Straßenraum gehen ineinander über. Ungeheurer Verkehrslärm begründet den Durchgangscharakter und kläglichen Besuch dieses 1961 mit der Bundesgartenschau eröffneten Bereichs. Statt eines Abgangs in die unteren Ebenen des Verkehrsknotens, der einem Weg in den Orkus ähnelt, braucht es hier eine Straßenrandbebauung, die – vergleichbar dem Ministeriumsneubau von Volker Staab am Neckartor – den Straßen Einfassung und dem Park Ruhe geben würde.

Das hier gerne verwendete Totschlagargument „Durchlüftung“ oder „Klimaschleuse“, das bei Großprojekten wie Dorotheenquartier oder LBBW keine Rolle zu spielen scheint, verfängt nicht. Die fast 200-jährige Existenz der Carlsakademie weiß nichts von Klimaproblemen. Schiller hat hier nicht mehr als andernorts gehustet.

Gibt es etwa in Städten mit mindestens ebenso schwierigen Klimabedingungen wie Florenz oder Siena unbebaute Flächen oder gar Parks ohne bauliche Einfassungen?

Ist dies nicht der ideale Ort für das Lindenmuseum? Untergebracht in einem attraktiven L-förmigen Neubau in der Achse des Südflügels des Schlosses? Das wäre eine große, optimale und sofort mögliche Bereicherung der Kulturmeile! Zugleich ein Rückgriff auf Vorschläge so bedeutender Architekten wie James Stirling, London, Colin Rowe, Ithaka, New York, und Othmar Barth, Innsbruck/Brixen, präsentiert im Internationalen Symposion am 10. April 1987 in und für Stuttgart.

Bereich Gebhard-Müller-Platz

Neckarstraße um 1900 zwischen Staatsgalerie und Münze – ein reines Idyll

Staatsgalerie und Münze, um 1900, Foto: Staatsgalerie Stuttgart

Das Museum und die Münze gegenüber werden beide in den frühen 1840er Jahren errichtet. Parallel entstehen mit den Jahren noble Bürgerbauten, die allmählich das Neckartor erreichen. Einen Platz oder eine Kreuzung gibt es noch nicht, zunächst nur eine Sackgasse bis zum Königin-Katharina-Stift hinter der Münze.

Gebhard-Müller-Platz - ein Horror für Fußgänger und Radfahrer/ einer der Plätze in Stuttgart an der B14, die keine sind

Gebhard-Müller-Kreuzung mit Lichtmast.

Kein Platz, weil unbegehbar – Platzschilder demgemäß nur am Lichtmast.

Der Sohn Gebhard Müllers erklärt 2017, dass er für Baumaßnahmen an diesem Ort 25 Tsd. Euro zu spenden bereit ist. Sein Vater solle sich nicht mehr vor Grausen im Grab herumdrehen müssen.

Zugang zur Staatsgalerie – schäbig wie bei keinem anderen deutschen Museum

Hauptzugang zur Staatsgalerie Stuttgart.

Ein „Industriebau“ (in Wirklichkeit das geschmackvolle Kulissengebäude des Staatstheaters von 1962), Königin-Katharina-Stift mit Turnhallendach davor und die hier 10-spurige B14 bilden das wohl schäbigste Vorfeld eines großen Kunstmuseums in Deutschland.