Hauptstätterstraße / B14 früher und heute – ein Paradebeispiel problematischer Stadtentwicklung im Sinne der autogerechten Stadt.

Die Verwandlung des Stadtcharakters durch Krieg und Verkehrsplanung der Nachkriegszeit ist hier das Thema. Eine autobahnähnliche Verkehrsschneise spaltet die Stadt nicht nur in dem Bereich Hauptstätterstraße zwischen Marien- und Charlottenplatz.

„Stutgardia“, Matthias Seutter (1678-1757), um 1755, Staatsgalerie Stuttgart.

Der Stadtplan der kleinen Herzogsresidenz mit rund 18.000 Einwohnern zeigt im mittleren Queroval den alten Stadtkern, darüber die klar gegliederte „Reiche Vorstadt“ mit der Hospitalkirche, und unten die „Esslinger Vorstadt“. Ihr werde ich mich in meinen „Ansichten …“ noch mehrfach widmen.

Zentrum ist dort die Leonhardskirche, jenseits derer die Hauptstätterstraße nach links zum gleichnamigen Stadttor führt. Nicht von Hauptstadt rührt der Name her. Eigentlich könnte die Straße auch Enthauptungsstraße heißen, denn vor dem Stadttor, auf dem heutigen Wilhelmsplatz, werden von 1581 bis 1811 Straftäter mit dem Schwert hingerichtet.

Wobei der schwäbische Gebrauch des Verbs „Hinrichten“ Ortsfremde auch heute noch manchmal irritiert, weil dieser Ausdruck umgangssprachlich meist das Herrichten und Bereitlegen meint.

Hauptstätterstraße   >   Österreichischer Platz

Die an einem stillen Sonntagmorgen gemachte Aufnahme mit der Blickachse zum Tagblattturm zeigt eine kurze Strecke der Straße. Hier ist sie ist in der Originalbreite mit 4 Fahrspuren und seitlichen Gehwegen erhalten.

Österreichischer Kreisverkehr über Garage und Tunnel   >  Wilhelmsplatz

Dieser Ort ist kein Platz, weil er nicht begehbar ist.

Es handelt sich um den ersten von vier kurzen „Tunneln“ in Richtung Neckartor. Sie ermöglichen es den Verkehrsteilnehmern in zügigem Ab- und Auftauchen ampelfrei von SO nach NW die Stadt zu durchqueren. Hauptbereiche Stuttgarts muss und kann man dabei nicht wahrnehmen. Ein ideales Angebot für Durchgangsverkehr, auf den in letzter Zeit auch noch verstärkt durch Navigationsgeräte hingewiesen wird.

Die derzeit pro Tag genannte Zahl von Fahrzeugen schwankt zwischen 100.000 und 120.000.  Einmalig in einer deutschen Stadt der Größe Stuttgarts, aber nicht ganz überraschend, denn es gibt keine komplette Umfahrungsmöglichkeit der Stadt. Im Gegensatz zu Flächenstädten wie Frankfurt, München oder Berlin verschärft Stuttgarts Lage in einem relativ engen Tal zusätzlich die Situation und zwingt den Verkehr auf nur wenige Fahrstrecken.

Hauptstätterstraße   >   Wilhelmsplatz.

Intakte alte Häuserzeilen werden abgerissen. Dafür bietet die B 14 hier bereits 8 Fahrspuren.

Hauptstätterstraße   >   Charlottenplatz, um 1905.   Foto: Haus der Geschichte

Die marktartig verbreiterte Straße, Arterie des Leonhardviertels, dient auch der Anlieferung ländlicher Güter, ist Zentrum eines dicht besiedelten, sehr lebendigen Stadtteils mit Handwerkern, Kleinbetrieben, Gaststätten.

Das ferne Türmchen stammt von der zerstörten Carlsakademie hinter dem Neuen Schloss. Von  der ganzen Straße sind nur rechts 6 Häuser erhalten.

Wilhelmskreuzung neben Wilhelmsplatz  >   Charlottenplatz

Rechts die 6 alten Häuser und 2 jüngere des Jugendstils.

Leonhardsviertel   >   Staatsgalerie, 1972.   Foto: LMZ-BW

Ausbau der B 14 zu einer Art Stadtautobahn: vollendet sind bereits die Charlottenkreuzung und die Parkhäuser von Breuninger und Züblin in bedrängender Nähe zur Leonhardskirche. Die Teilung der Stadt durch die künftige Straßenbreite und den Verkehrsstrom zeichnen sich bereits ab.

Blick vom Tagblattturm  >   Wilhelmsplatz

Der ehemalige Hinrichtungsort ist genauso wenig zu erahnen wie das ursprüngliche Flair dieses Stadtteils.

Jenseits der B 14 das kleine Ensemble alter Häuser, das in Stuttgart einigermaßen intakt erhalten ist. Es dient im Wesentlichen dem leichten Gewerbe, wovon auch manche gutbürgerliche Hausbesitzer in Halbhöhenlage Profit ziehen sollen. Es gilt noch immer die Feststellung von Kaiser Vespasian um 75 n. Chr. im Hinblick auf seine üble Urinsteuer :“Non olet“ – Geld, woher auch immer, stinkt nicht.

Hauptstätterstraße   >   Charlottenplatz.

Die Straße ist hier auf 10 Fahrspuren verbreitert. Die frühere stadträumliche Vielfalt und Lebendigkeit ist links durch eine architektonisch ziemlich anspruchslose Verwaltungsarchitektur, das klobige Schwabenzentrum, ersetzt.

Die Straße ist nun eine Verkehrsschneise, die durch ihre Dimension die frühere Einheit und Dichte des Viertels spaltet und wie eine offene Wunde wirkt.

Die autogerechte Stadt darf einen Triumph feiern. Spazieren geht hier niemand.

Hauptstätterstraße   >   Wilhelmsplatz

Der Garagenbau verdeckt die Leonhardskirche – Symbol der autogerechten Stadt.

Wäre es nach Jahrzehnten des Nichtstuns nicht endlich an der Zeit das Problem B 14 in Angriff zu nehmen und durch eine konkrete Planung für die nächsten Jahre auch zu lösen? Im Zusammenwirken von Stadt, Region, Land und Bund?

„Was die Stuttgarter an ihrer Stadt stört“, lautet jüngst eine Bürgerumfrage. Am 18. August 2017 teilt die Stuttgarter Zeitung die Ergebnisse mit:

Auf Rang 1 der 10 größten Probleme liegt

„Zu viel Straßenverkehr“ bei 75 % der Befragten.

Nur kosmetische Verbesserungen an einzelnen Stellen wie einzelne Zebrastreifen oder elegante Fußgängerstege dürften doch wohl kaum ausreichen?!