Der königliche Bamberger Reiter ist ein Hauptwerk deutscher Kunst des Mittelalters und ein weltbekanntes Wahrzeichen der Stadt Bamberg. Geschaffen um 1230 von einem Unbekannten, ist er zudem das erste Reiterstandbild seit der Antike. 

Im Fränkischen unterwegs und innerlich beschäftigt mit edlen Pferden und auch ihren Reitern, kam mir der Gedanke, die Bamberger Skulptur sei ein schönes Bindeglied zwischen den gezeigten Heroen der Antike und ihren Nachfolgern, den Heerführern von Donatello und Verrocchio.

Das lebensgroße, 228 cm hohe Standbild zeigt jedoch keinen Heerführer und keinerlei Waffen. Auch ist es keine Grabfigur. Der Reiter steht nicht im Freien, vielmehr in einem Dom, hoch über den Köpfen der Gläubigen, angelehnt an einen Pfeiler und dennoch vollplastisch und frei wirkend. 

Pferd und Reiter strahlen Ruhe aus

Den jugendlichen Mann mit Lockenpracht und Krone zeichnen Gelassenheit und eine sehr aufrechte Körperhaltung aus. Mit der Linken hält er locker den Zügel, die Rechte ist erhoben und spannt den Träger seines Umhangs. Alles dies ist untergeordnet einem wachen Blick über uns hinweg in die Ferne. Das Ganze ist ein Bild altersloser männlicher Schönheit. 

Die ursprüngliche Wirkung war noch stärker, weil der Schilfsandstein (= Stuttgart-Formation) in kräftigen Farben bemalt war. Auf grünem Sockel stand ein Schimmel mit braunen Flecken. Der Reiter trug dunkles Haar und eine rote Gewandung mit goldenen und silbernen Sternen. Die Krone, sein Gürtel und die Sporen waren vergoldet.

Seit 1993 sind der Dom und sein Reiter Teil des UNESCO-Welterbes Bamberger Altstadt.

Bamberger Reiter, eine königliche Gestalt um 1230 - der erste Blick beim Gang in Richtung Westchor des Domes

Wenn man den Bamberger Dom durch die „Gnadenpforte“ betritt, geht man zunächst im Nördlichen Seitenschiff an der Chorschranke entlang. Dort fesseln mich seit je die Reliefs disputierender Propheten aus der Entstehungszeit des Reiters. Kaum kann ich mich von diesen einmaligen Beispielen konzentrierter Rede und Gegenrede lösen. Der kahlköpfige Jonas ist mein besonderer Freund. Als unverdaulich hatte ihn einst ein Walfisch ausgespien. 

Beim Weitergehen in Richtung Westchor fällt der Blick auf den steinernen Reiter am Nordpfeiler des Georgenchors. Wer ist diese königliche Gestalt unter einem Baldachin, die seit 800 Jahren an ihrem Bestimmungsort steht?!

Ich präsentiere sie hier als kleine Unterbrechung zwischen Albrecht Adams früher Zeit und seinen Arbeiten für König Wilhelm I. von Württemberg. Dessen Reiterporträts entstehen rund 600 Jahre nach dem Bamberger Standbild.

Bamberger Reiter, eine königliche Gestalt um 1230: die Akanthusmaske der Konsole

Ein pflanzlicher Dämon als Konsole

Merkwürdig und nicht eindeutig zu erklären ist die Gestaltung der Konsole. Eine pflanzliche Maske und weiteres Blattwerk verkleiden die Sockelkonstruktion unter dem Reiter. Wunderbar ist aus Akanthusblättern das Gesicht eines Dämons geformt, der einen finsteren Blick zur Seite richtet. Unwillkürlich denke ich an die geistreiche Kunst des Giuseppe Arcimboldo (1526-1593), der Köpfe aus Gemüse und Pflanzen gebildet hat. 

Bamberger Reiter, eine königliche Gestalt um 1230: Schwierigkeiten bei der Identifizierung

Ein Unbekannter eines unbekannten Künstlers ?

Deutungsvorschläge: Gedacht hat man an den heilig gesprochenen König Stephan I. von Ungarn (969-1038). An den gleichfalls heilig gesprochenen, in Bamberg 1208 ermordeten König Philipp von Schwaben, der seine Grabstätte zunächst in der Nähe des Reiters fand. Auch um einen weiteren Staufer könnte es sich handeln, um einen Neffen Philipps, den staufischen Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Andere sehen in dem Sandsteinreiter den Rest einer Skulpturengruppe der Hl. Drei Könige. Auch wurde die Idee vertreten, der waffenlose und mit einem Tasselmantel bekleidete Reiter könne der am Ende der Zeiten wiederkehrende Messias sein. Und noch manches mehr.

Aus mangelndem Fachwissen kann ich hier keine Stellung beziehen. Nur will ich nicht verhehlen, dass mir eine Identifizierung mit einem Schwaben oder Staufer nicht unangenehm wäre. Das würde gut zu meiner vorwiegend schwäbischen Thematik passen. Auch gewann das Haus Württemberg gerade zur Zeit des Reiters an Ansehen und Macht. 

Bamberger Reiter, eine königliche Gestalt um 1230: das erste Reiterstandbild seit der Antike

Ein liebes Pferd

Von den Stufen zum Hochchor bietet sich eine Nahsicht des Pferdes. Anders als bei antiken Reiterstandbildern in Bronze wie Kaiser Marc Aurel oder dessen Echo beim Gattamelata in Padua und Colleoni in Venedig geht es hier nicht um eine besonders realitätsnahe Gestaltung. Der Entstehungszeit gemäß genügt dem Künstler eine leicht stilisierte Wiedergabe des Pferdes. Das passt gut zur visionsartigen Erscheinung des Reiters an einer herausragenden Stelle des Domes.

Lange möchte man sich mit diesem hoheitsvollen Herrn befassen. Ganz heran an ihn kann man dabei nicht kommen. Einer zudringlichen Wahrnehmung aus unmittelbarer Nähe ist er entrückt. Er scheint aus einer anderen Welt zu stammen. Vielleicht aus der mittelalterlichen Literatur, wie eine mythische Gestalt aus König Artus‘ Tafelrunde. Die grandiose Figur lässt mich an Parzival denken oder auch an Lohengrin.

Der Wagnersche, hinreißend gesungene und zum Geflügelten Wort gewordene Ruf beim endgültigen Abschied würde nicht lauten: „Mein lieber Schwan“, sondern konsonantenmäßig erschwert „Mein liebes Pferd“. Denkbar wäre auch, dass vor seinem Tross ein königlicher Spross sänge: „Mein liebes Ross“! Oder – Ihr ahnt es längst –: „Mein lieber Hengst“.