Albrecht Adam, Russlandfeldzug 1812, Am Wop II: Detail einer bisher unbeachteten großformatigen Zeichnung mit Napoleon auf seinem Vollblutaraber in Winterkleidung.
Das gezeigte Detail neben einem vermutlich gleich großen Ausschnitt eines Gemäldes im Moskauer Kreml.
Ein bisher unbekannter Bildentwurf Albrecht Adams
Albrecht Adam, Der Übergang Napoleons I über den Wupp (rückseitige Aufschrift), Bleistift, weiß gehöht, auf zusammengeklebten Papierbögen, 66 x 121 cm, Staatliche Graphische Sammlung München, Inv.Nr. 18764
Dem Stuttgarter Historiker und Napoleon-Kenner Wolfram Pyta verdanke ich den ersten Hinweis, dass der Name des Flusses richtig „Wop“ lautet. Er kannte vor mir die Neuausgabe der Voyage pittoresque von 2015 und bezog sich auf die hier gezeigten Nrn. 61 und 62. Während diese die harmlose Situation Ende August zeigen, hat der großformatige Gemäldeentwurf die beklemmende Lage des Heeres beim Rückzug Anfang November 1812 zum Thema.
Detail aus dem Bildentwurf in München mit Napoleon und seinem Stab in der Mitte
Der unveröffentlichte, ausführungsreife Kompositionsentwurf zeigt wegen des ungeordnet nach unten gehenden Gedränges eine Szene am Ufer des Wop. Angedeuteter Schnee und dicke Mäntel weisen auf einen Moment des kläglichen Rückmarsches der Grande Armée hin. Eine Szene also, die Adam gar nicht miterlebt hat, weil er Moskau frühzeitig verließ. Aber die topographische Situation war ihm von der der Durchquerung des Wop am 25. August her vertraut. Und den Rest wird er von Überlebenden des Rückzuges erfahren haben. Ohne weiteres konnte er sich die Situation realitätsnah vorstellen. Bei anderen Rückzugsbildern seiner Hand verhält es sich ähnlich. Von einer Ausführung ist nichts bekannt. – Das schrieb ich im vergangenen Oktober.
Mehr wusste ich nicht seit der Durchsicht des riesigen Adam-Bestandes in der Münchner Graphischen Sammlung im Juni 2021. Erst im März 2022 stieß ich im Netz per Zufall auf die Aufnahmen eines „Shakko“.
Die „im Westen“ unbekannte Ausführung als Gemälde
Albrecht Adam, Der Rückzug der Großen Armee, 1830, Öl auf Leinwand, Moskau Kremlin Museen, © Foto: Wikipedia/Shakko – Die Aufnahmen wurden gemacht in der Ausstellung „The Kremlin in 1812. War and Peace“, die vom 4. Oktober 2012 bis 10. Januar 2013 in der „Front hall of the Armoury Chamber“ stattfand.
Es ist anzunehmen, dass die Zeichnung und das Gemälde 1830 für einen russischen Auftraggeber entstehen. Adam zeigt, wie die halb aufgelöste Armee die verschneiten Hänge zum Wop hinabzieht. Statt eines bequemem Durchquerens wie zuvor im August steht ihr nun ein vereister, breiter Strom ohne Brücke als gefährliche Barriere im Weg. Zur Rechten Napoleons ist am Federhut Marschall Joachim Murat zu erkennen, sein verwegener Schwager und König von Neapel.
Bildschirmfoto nach der Ausstellungsseite der Kreml Museen im Internet.
Detail aus dem Bildentwurf in München: das menschliche Durcheinander des ungeordneten Heeres und die Pferde – aufgeregt mit hochgeworfenem Kopf, ruhig folgend, tot am Boden und zusammengebrochen – ergänzen sich zu einer alptraumartigen Vergegenwärtigung eines dramatischen Kriegsmoments. Anrührend links vorne eine freundschaftliche Geste in größter Not.
Detail aus dem Gemälde in Moskau, © Foto: Wikipedia/Shakko
Rückseite der großen Zeichnung: Flüchtige Skizze fliehender Pferde und darüber auf dem Kopf stehend der Schriftzug Der Übergang Napoleons I über den Wupp. Die Szene rechts mit einem Pferd, das sich einem gestürzten oder sterbenden Pferd zuwendet, gehört zum Russlandfeldzug.
Die Stute mit dem Fohlen in der Mitte und die sonstigen davon stürmenden Pferde könnten dagegen in Verbindung stehen mit entsprechenden Kompositionen, die Adam 1832 mit SULTAN MAHMUD und ähnlich 1838 in Scharnhausen festhält. Aufschlussreich ist seine Arbeitsweise: erste Bildgedanken werden wie hier so zart festgehalten, dass sie für ihn als Erinnerungsstütze ausreichen, aber für andere nur mühsam entzifferbar sind.