Weitere Verluste bei Schönheiten im Schlossgarten – nicht nur von Antikenkopien, sondern auch von Werken von Zeitgenossen König Wilhelms
Eine Reihe anderer wichtiger Werke, die ehemals die Stuttgarter Parkanlagen schmückten, scheinen zu den Kriegsverlusten zu zählen. Dennoch bemühe ich mich so weit möglich um die zumindest virtuelle Zusammenschau des ursprünglichen Bestandes.
Vielleicht taucht irgendwo noch ein Werk auf, über dessen Herkunft man bisher rätselt. Daher sind Hinweise jeder Art sehr willkommen. Sie werden natürlich streng vertraulich behandelt.
Venus Hope
Antonio Canova (1757-1822) setzt sich 1817-20 erneut mit dem Thema der „Venus Pudica“ auseinander. Dies geschieht in Anlehnung an die „Venus Medici“ und sein eigenes Werk im Palazzo Pitti. In seiner Spielart des klassischen Sujets ist die Haltung von Händen und Armen annähernd spiegelbildlich vertauscht. Gegenüber seiner „Venus Italica“ reduziert er nun die Draperie, zugleich die Andeutung einer Fluchtbewegung. Damit schenkt er der Gestalt ein etwas freieres Auftreten. Noch stärker verschmelzen göttliche Erscheinung und menschliche Schönheit bei sinnlichster Gestaltung der Oberflächen.
Kein Wunder, dass König Wilhelm sich für diese Fassung in seinen Parkanlagen entscheidet. Das führt allerdings 1856 zur längerfristigen Verbannung in die Nähe von Schloss Rosenstein.
Marcellus (früher: Germanicus)
Minerva Giustiniani
Minerva Giustiniani, Ludwig Hofer nach der Statue in den Vatikanischen Sammlungen in Rom, 1855 – wohl Kriegsverlust.
Die Aufnahme von 1891 zeigt die Statue im Zugangsbereich des Rosengartens. Sie ist auch als „Minerva Medica“ bekannt, was von ihrem fälschlich so im frühen 17. Jh. genannten Fundort herrührt. Ihr allgemeingültiger Name geht auf die Sammlung Vincenzo Giustiniani zurück, in die sie nach ihrer Entdeckung gelangt. Seit 1817 ist sie in den Vatikanischen Sammlungen.
Hofers Vorbild ist eine römische Kopie nach einem griechischen Werk des 4. Jh. v. Chr.. Dargestellt ist Minerva, die lt. mythologischer Tradition in voller Gestalt und Rüstung aus dem Kopf ihres Vaters Jupiter in die Welt trat, angetan mit Brustharnisch samt Gorgonenhaupt. Als Göttin der Weisheit und auch heilender Kräfte wird sie von einer Schlange begleitet. Vgl. Peschel 2009, Nr. 24 (ohne Abb.).
Telemachus
„Telemachus“, Ludwig Hofer nach der Statue von Luigi Bienaimé, 1851-54 – wohl Kriegsverlust. Vgl. Peschel 2009, Nr. 22.11 (ohne Abb.).
Dank der Aufnahme von 1891 und der Fotos des Auktionshauses Sotheby‘s, London, 3. Juli 2012, Nr. 13, steht uns die verschollene Statue wieder vor Augen.
Hofers Vorbild stammt von Luigi Bienaimé (1795-1878), geboren in Carrara und daher gewissermaßen mit Marmor- und Bildhauerblut in den Adern. Er ist ein Mitarbeiter Thorvaldsens und schließlich dessen Werkstattleiter. Daher wird Hofer, gleichfalls lange bei dem Dänen in Rom beschäftigt, Bienaimé bestens gekannt haben.
Telemachus – Apoll vom Belvedere
Vielleicht geht die Wahl des Sujets sogar auf Hofer zurück, der eine wichtige Arbeit seines Werkstattgenossen dem König als eine Art modernes Pendant zum “Apoll vom Belvedere“ vorgeschlagen haben könnte.
Luigi Bienaimé, Telemachus, Marmor, 193 cm hoch, signiert und 1835 datiert.
Links das Exemplar in London, das bei Sotheby‘s, 3. Juli 2012, als Nr. 113 versteigert wird, Herkunft: Prinz Galitzin, Russland, dann Privatbesitz Großbritannien. – Das rechte Bild stammt von der Fassung in St. Petersburg, Ermitage. Jeweils Foto Wikimedia
Die Skulptur zeigt, wie sich Telemachus, Sohn von Odysseus und Penelope, kampfbereit macht, indem er den Ledergurt seines Schwertes überstreift. Die Rüstung steht noch neben ihm.
Es geht um Ereignisse am Ende der Odyssee. Während der langjährigen Abwesenheit des Vaters ist der Sohn herangewachsen, halb noch Junge, halb schon Mann. Übel geht es im Haus zu. Fremde und Freier machen sich dort breit, rechnen mit dem Tod des Odysseus. Prahlerisch buhlen sie um Penelope, drängen ununterbrochen auf Heirat mit der vermeintlichen Witwe. Penelope widersteht. Unerkannt kehrt der Hausherr zurück. Vater und Sohn bescheren den Freiern einen unerbittlichen Kampf und allen den Tod.
Die Detailaufnahme zeigt eindrücklich die künstlerische Qualität von Bienaimés Werk. Jugendliche Lockenpracht quillt unter der Kappe hervor. Die Gesichtszüge sind noch so weich, dass Bartflaum kaum zu erwarten ist. Insgesamt ein fast etwas scheuer, nachdenklich wirkender junger Mann, der sich von einem „Apoll vom Belvedere“ oder dem „David“ des Michelangelo und deren Siegesentschlossenheit deutlich abhebt. Noch kennt er nicht die unerhörte Kampfkraft seines Vaters Odysseus, der sich ihm ja wie allen anderen zunächst nur im Gewand eines Bettlers präsentiert.