Leonhardsviertel: Geschichte und Rolle in der Stadt. Eines der einst schönsten Viertel bedarf dringend der Neuordnung und Aufwertung.

Das Leonhardsviertel, früher genannt Esslinger Vorstadt, ein Teil davon auch Bohnenviertel, ist kein stadträumlich homogener Bereich mehr. Schwere Kriegsschäden, die enorme Breite der B14, mehrgeschossige Garagen und langweilige Verwaltungsbauten sind dafür die Ursache. Seine ursprüngliche Mitte ist die namensgebende Kirche aus dem späten 15. Jh. und ihr Platz. Die Nachkriegsverhältnisse haben diese „Mitte“ in eine ziemlich trostlose Inselsituation verwandelt.

Leonhardsviertel: Geschichte und Rolle in der Stadt – stattdessen heute ein Randbereich der B14

Eine romantische Nachmittagsstimmung am 6. Januar 2018 im Leonhardsviertel: die Kirche zwischen Parkhaus und Hochhaus in einer autogerechten Stadt. Statt früherer enger Gassen mit meist kleinen Häusern, einer Vielfalt von Formen, Besitzverhältnissen und engem bürgerlichem Zusammenleben gibt es nun endlich Weiträumigkeit mit ununterbrochen fließendem Verkehr. Hier ist das Idealbild eines aufgeräumten Stadtquartiers der Nachkriegszeit Wirklichkeit geworden.

Gesamtansichten

Leonhardsviertel: Geschichte und Rolle in der Stadt – Pläne von Merian 1643 und Seutter um 1755

Die berühmte Stadtansicht aus der „Topographia Sueviae“ von Matthäus Merian (1593-1650) und diejenige von Matthäus Seutter (1678-1757), beide in der Staatsgalerie Stuttgart, zeigen unterhalb, also südöstlich des alten Stadtkerns die „Eslinger VorStadt“ mit der Leonhardskirche und ihrem Platz als Mittelpunkt. Dieses Quartier findet seine Begrenzung in der Stadtmauer und zum Stadtzentrum hin im damals noch oberirdisch verlaufenden Nesenbach (vgl. hier den Stadtplan von 1836). „Die Stadt“ wird noch eingefasst von Wassergräben (heute: Eberhardstraße, Königstraße und Planie).

Der inzwischen Leonhardsviertel genannte Stadtteil hat zwei Stadttore: in Richtung Heslach das Hauptstätter Tor, das seinen Namen von der Richtstätte neben der Straße führt, und auf der anderen Seite das Esslinger Tor, von dem aus der Weg den Ameisenberg – seit 1862 auch Uhlandshöhe genannt –  hinaufgeht.

Stuttgart von Südosten Rolf Huber 1795

Zwischen der Stiftskirche links und der Leonhardskirche rechts der Mitte sind auszumachen: das Alte Schloss mit seinen Rundtürmen, der Stadtflügel des Neuen Schlosses sowie die Carlsakademie mit ihrem Türmchen. Ganz rechts sieht man die Straße über den Ameisenberg nach Esslingen.

Ansicht Stuttgarts von der Alten Weinsteige um 1815

Die liebenswerte Ansicht von unbekannter Hand überrascht durch eine gewisse topographische Willkür. Die Hügel sind zu steil, die Gebäude zu sehr zusammengerückt. Leichte landschaftliche Dramatisierung ist das Ziel.

Über dem Alten Schloss flattert eine Fahne, hinter dem Neuen Schloss ist in der Ferne Cannstatt angedeutet. Vorne trägt eine Bauersfrau Gänse zum Markt.

Das Viertel 1830 bis 1930

Leonhardsviertel: Geschichte und Rolle in der Stadt – Stadtpan Stuttgarts 1836

Dieser Stadtplan von 1836 ist wegen seiner Beschriftung besonders nützlich. Die Wassergräben und Wälle um den ursprünglichen Stadtkern sind in Straßen verwandelt. Der „Graben“ heißt nun Königstraße. Das rötlich gefärbte Viertel entwächst bereits dem alten Stadtraum, wenn auch noch die frühere Stadtmauer genau erkennbar ist. Die wichtigste Ader des Quartiers ist die breite Hauptstätter Straße. Sie wird mit einer Häuserfront beendet und führt nach links über die Marktstraße zum Marktplatz sowie nach rechts zum Leonhardsplatz.

Die Hauptstätter Straße geht anders als die B14 nicht direkt an der Kirche entlang. Eine Häuserzeile schottet den Kirchenbereich vom ihrem marktartigen Betrieb ab.

Luftbild des alten Zentrums von Stuttgart um 1930

Um 1930 ist die alte Stadtstruktur  noch fast gänzlich erhalten. Sie verkraftet sogar einen großen, hellen Kaufhausbau. Direkt hinter der Leonhardskirche erkennt man die einzeilige Häuserreihe und die Fassadenvielfalt der Hauptstätter Straße. Eine quer liegende Häuserfront führt zum Kaufhaus und dem Marktplatz. Hinter diesen Giebelhäusern erstreckt sich ein dicht bebautes Quartier, das vom Hotel Silber vor dem Waisenhaus überragt wird. Heute gibt es dort nur noch Verkehr.

Hauptstätterstraße und B14 als ihre Nachfolge

Leonhardsviertel: Geschichte und Rolle in der Stadt – Hauptstätter Straße um 1905 Foto Haus der Geschichte

Lebendigkeit im Alltagsgetriebe und Architektonischen prägen die prächtige, marktartige Hauptstätter Straße. Sie ist für immer verloren. Ihre Breite reicht für das Wenden eines Fuhrwerks aus. Das ferne Türmchen stammt von der Carlsakademie.

Nur 6 Häuser rechts sind erhalten.

Gleicher Blick auf die B14 heute

Vogelschau auf Leonhardsviertel und Wilhelmsplatz vom Tagblatt-Turm

Der Blick vom Tagblatt-Turm zeigt jenseits der B14 noch einen kleinen Bereich des alten Leonhardsviertels. Leider ist er sozial heruntergekommen.

Leonhardsviertel: Geschichte und Rolle in der Stadt – Marktstraße und Leonhardsplatz um 1902 Foto Haus der Geschichte

Heutiger Blick vom gleichen Standort über die B14