Albrecht Adam, Russland 1812, Voyage pittoresque, Nr. 49: Selbstbildnis Adams am 16. August 1812 vor seinem Biwak aus Strohballen, Detail, Landesbibliothek Stuttgart – vgl. den kommenden Beitrag Russland 1812, Juli/August.

Der Künstler als italienischer Hauptmann oder ein italienischer Hauptmann als Künstler: der 26jährige Albrecht Adam stellt sich so dar, als blicke er prüfend auf ein Geschehen des Feldzuges. Zugleich sieht er uns an, als wolle er uns auf seinem Skizzenblatt festhalten. – Leicht verändert gibt es davon auch ein Gemälde von 1814 im Stadtmuseum München (Hase 1981, 109, Nr. und Abb. 11).

Hier ist ein besonderer Hinweis angemessen auf die sehr gute Neuausgabe und Kommentierung der „Voyage pittoresque …“ durch Thomas Hemmann, Rolf Eckstein und Eckard M. Theewen aus dem Jahr 2015 = zitiert als: Adam 1828/2015. Die Erläuterungen zu den Blättern der „Voyage“ basieren vielfach auf dieser beispielhaften Edition.

Albrecht Adam, Russlandfeldzug 1812, Voyage pittoresque – Titelblatt 1828

Albrecht Adam, Voyage pittoresque…1828, Titelblatt, Landesbibliothek Stuttgart (mit dem Stempel der Kgl. Handbibliothek)

Der 42Jährige Künstler bringt von den zahllosen während des Russlandfeldzuges gefertigten Skizzen einhundert in überarbeiteter Form als Lithographien heraus. Dies geschieht ab 1827/28 bis 1833 in einem aufwändig gestalteten Tafelwerk in Einzellieferungen von je 4 Blatt in einer Mappe mit Begleittexten (nicht ganz unähnlich einer Beitragsfolge wie dieser). Vgl. dazu Adam 1828/2015, 31 ff. 

Die selbstbewusst präsentierte Bilderserie wird von zahlreichen aufgelisteten Prinzen, Prinzessinnen und sonstigen hochgestellten Persönlichkeiten subskribiert. Sie stammen vorwiegend aus Bayern. Aber auch König Wilhelm von Württemberg gehört dazu. Die Publikation ist  französisch verfasst, in der Diplomatensprache der Zeit und der Sprache der europäischen Eliten. 

Mit dieser Veröffentlichung präsentiert sich Adam endgültig als Schlachten- und Pferdemaler erster Ordnung. Die Aufforderung nach Württemberg zu kommen, lässt nicht lange auf sich warten. Ab 1829 ist er im Großraum Stuttgart tätig.

Albrecht Adam, Russlandfeldzug 1812, Voyage pittoresque, Nr. 9

Albrecht Adam, Voyage pittoresque, Nr. 9: Vor Pilony am Njemen/Memel am 29. Juni 1812, 27,0 x 16,5 cm, Landesbibliothek Stuttgart

In diesem Rahmen geht es nicht darum, die Leistung von Albrecht Adam als Chronist des Russlandfeldzuges in toto vorzustellen. Ich biete lediglich eine Auswahl von Blättern, die mit Pferden, direkt mit Napoleon und mit Württembergern zu tun haben. Laut Adam 1828/2015, 47 gehören zur Grande Armée und ihren Verbündeten insgesamt ca. 165.000 Pferde; vgl. zu diesem Blatt 57 f. und 244. Andernorts ist von ca. 200.000 Pferden die Rede.

Vielfach äußert der Künstler und große Pferdefreund Adam in seiner Selbstbiographie sein Entsetzen über die Riesenzahl toter und elend krepierender Pferde. Das Verenden der hilflosen Kreatur hat er hier zum Hauptthema gemacht. Losgelöst von irgend einer Schlacht. Ein Sinnbild, das auch für den Tod hunderttausender Menschen steht. Der Ausfall zahlloser Pferde schwächt den Nachschub, reduziert die Schlagkraft des Heeres, führt zu Unterversorgung der Menschen und Tiere. Und das wie hier bereits vor dem Einmarsch in Russland.

Adam erinnert sich im Alter (2018, 126): „Unter den jämmerlichsten Verhältnissen verweilten wir den 29. und 30. Juni zu Piloni, einem elenden Orte … Zwei Tage fiel der Regen unaufhörlich … Den Pferden bekam dieser Zustand noch schlechter als den Menschen; das nasse Grünfutter verursachte ihnen Kolik, an welcher sie nach wenigen Stunden den grässlichsten Tod fanden; in einer Nacht wurden so Tausende von Pferden weggerafft.“

Albrecht Adam, Russlandfeldzug 1812, Voyage pittoresque – Gemälde Schweinfurt

Albrecht Adam, Nach der Schlacht, 1840, Schweinfurt, Museum Georg Schäfer

Es handelt sich um eine Erinnerung an die Schlacht bei Borodino. Adam blickt mit gleichem Mitgefühl auf Mensch und Tier. Das findet Anklang. Im Schorn‘schen Kunstblatt 25, 1844, 138 (nach: Hase 1981, 191) beginnt die Würdigung so: „… es stellt ein verlassenes Schlachtfeld dar, die Hauptgruppe im Vordergrund ein Schimmel und ein Falber; dieser liegt in den letzten Zügen, jener schnuppert an ihm herum, und diese Freundschaftsbezeugung macht, daß das halbtodte Roß noch einmal seinen Kopf erhebt und den Freund mit schon halbgebrochenen Augen anblickt. Ueberall auf dem Blachfelde liegen todte und verwundete Reiter und Pferde in mannigfaltigen Lagen umher…“

Albrecht Adam, Russlandfeldzug 1812, Voyage pittoresque  Gemälde Hamburg

Albrecht Adam, Ein herrenloses Pferd auf dem Schlachtfeld bei Borodino1834, Öl auf Holz, 52,4 x 68,6 cm, Sammlung und Foto Hamburger Kunsthalle

Mit dem seelisch gebrochenen Pferd, dem kahlen Baum, dem zurückgelassenen Geschütz und den mühselig davonziehenden Kürassieren unter düsteren Wolken hat Adam ein Sinnbild der Schrecken jeglichen Krieges geschaffen.