Belisar und Hiob – zwei alte weise Männer im Elend. Bei diesem dritten Auftritt im Rahmen meiner Kleinen Kunstgeschichten geht es um Greise, die mit Haltung ihr Schicksal ertragen. Kein schlechtes Thema für einen, der vor kurzem Witwer geworden ist. So begegnen sich manchmal Menschen und Bilder, die sich gerade wechselseitig etwas zu sagen haben.
Belisar als Bettler
Belisar (um 500/505-565) ist ein oströmischer, ruhmreicher Feldherr unter Kaiser Justinian I. (um 482-565). Legenden bilden sich um ihn. So soll sein Erfolg Neider und Verleumder auf den Plan gerufen haben. Irre geleitet, habe der Kaiser ihm die Augen ausstechen lassen. Als blinder Bettler wird Belisar eine Gestalt der Literatur, Kunst, Oper und selbst des Kinos.
1766 veröffentlicht Jean-François Marmontel (1723-1799) seinen Roman Bélisaire, der bereits 1767 in deutsch erscheint. Er inspiriert Künstler zur Darstellung unterschiedlicher Szenen, doch meist ohne direkten Textbezug. Am berühmtesten darunter ein Frühwerk von Jacques-Louis David (vgl. nächsten Beitrag).
Belisar und Hiob sind zwei alte Männer, die in unterschiedlicher Art ihr Los in stoischer Weise mit Würde erdulden. Wohl deshalb hat sie Wächter als Pendants geplant. Bei Marmontel 1767, S. 10 ruht Belisar wie Hiob auf Stroh. Durch Erfahrungen und Leiden weise geworden, führt der Blinde lange philosophische Gespräche mit zwei Freunden. Sein junger Begleiter und Bewunderer heißt Tiber, der andere ist unerkannt der alte Justinian, der sich als Vater von Tiber ausgibt. Justinian ist mehr und mehr von Belisars Menschlichkeit, Wissen und moralischen Überlegenheit beeindruckt und beschämt. So wenig wie Hiob sich zum Fluch wider Gott verleiten lässt, so wenig der zum Philosophen gewordene Belisar zur Rache gegen seinen fehlgeleiteten Kaiser. Schließlich gibt sich Justinian zu erkennen und erhebt Belisar als Freund in gute Verhältnisse.
Eine gewisse Parallele findet sich in den letzten Zeilen von Schillers „Bürgschaft“: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, / In eurem Bunde der dritte.“
Der Maler Eberhard Wächter
Eberhard Wächter (1762-1852) um 1792 in Paris mit einer Revolutionskokarde am Hut, gemalt von Ludovike Simanovitz (1759-1827), Öl auf Leinwand, 59 x 47 cm, Besitz und Foto: Staatsgalerie Stuttgart
Wächter besucht 1773-84 die Hohe Carlsschule in Stuttgart und wird zum Juristen und Kameralisten bestimmt. Erst ab 1781 spärliche künstlerische Ausbildung, fortgesetzt 1784 in Mannheim, 1785-92 in Paris bei Jean-François Pierre Peyron, dann bei Jean-Baptiste Regnault. 1792-98 in Rom, im Kreis um Carstens, Fernow und Koch. 1798 Flucht vor den französischen Truppen. Bis 1808 in Wien, keine Rückkehr nach Rom, sondern ein meist klägliches Leben in Stuttgart. Überzeugter Klassizist bis zu seinem Ende, malt er um 1835 im Auftrag der Kunstschuldirektion einen „Herkules am Scheideweg“ für die Vaterländische Kunstsammlung – ein Gründungswerk der 1843 eröffneten Staatsgalerie.
Das Folgende verdankt viel der Dissertation: Paul Köster, Eberhard Wächter, Ein Maler des deutschen Klassizismus, Bonn 1968 (ohne Abbildungen).
Ein lang verschollenes Gemälde
Eberhard Wächter, Belisar als Bettler, um 1797, Öl auf Leinwand, 60,5 x 76,1 cm, Auktion Karl & Faber 324, München, 17. Mai 2024, Los 28, Privatbesitz
Generationenlang verschollen, ist Wächters Frühwerk jüngst versteigert worden und in Privatbesitz gelangt. Bei einem Rückblick 1839 auf sein Leben nennt es der Künstler als erstes seiner römischen Bilder. An anderer Stelle bezeichnet er es als „gemahlte Scize“. Das bezieht sich auf seine Absicht, die Komposition im Großformat als Pendant zu seinem Hauptwerk „Hiob und seine Freunde“ auszuführen. Da der Maler aber 1798 Rom verlässt wegen der Besetzung durch französische Truppen, zerschlägt sich das Projekt. Der Bildgedanke überlebt in diesem gut erhaltenen Gemälde und mehreren Zeichnungen.
Dennoch wende ich mich zunächst Hiob zu.
Erster Schritt zu Wächters Hauptwerk
Eberhard Wächter, Hiob und seine Freunde, um 1793/94, Feder in Braun, 11,3 x 15,5 cm, Würzburg, Martin von Wagner Museum
Der gottesfürchtige Hiob wird im Alten Testament als der reichste Mann im Lande Uz geschildert, gesegnet mit 10 Kindern und Tausenden Tieren. Der Satan schlägt Gott einen Test vor, ob er nicht Hiob zum Fluch wider ihn bringen könne: durch Verlust allen Besitzes und ekelhafte Krankheit. Doch Hiob widersteht, wendet sich nicht von Gott ab, verflucht dagegen schließlich seine Geburt.
Ausführungsetappen
Die erste Idee zum Hiob ist diese bisher unveröffentlichte, kleine Skizze. Temperamentvoll ausgeführt, zeigt sie ihn im Elend und höher sitzend seine drei Freunde. Hauptgedanken der Komposition bleiben unverändert, werden aber im Gegensinn weiterentwickelt. Die schräge Anordnung der Freunde im Raum und die sprechende Geste verfolgt Wächter nicht weiter. Er entscheidet sich bald für eine bildparallele Reihung der Gestalten. Das verringert die Dynamik, veranschaulicht aber besser die Ruhe des siebentägigen gemeinsamen Schweigens.
Eberhard Wächter, Hiob und seine Freunde, um 1793-94, Feder in Schwarz, 60,3 x 85,6 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv. C 27/6
Die bildgroße Zeichnung zeigt den in größtes Unglück geratenen, am Boden gefasst sitzenden Hiob. Seine Freunde Elifas, Bildad und Zofar leisten ihm sieben Tage und Nächte schweigend Gesellschaft. Und Hiob verflucht Gott nicht.
Nur in diesem Entwurf ist rechts zu sehen, was im Alten Testament, Buch Hiob I, 16, beschrieben wird: „Das Feuer Gottes fiel vom Himmel …“. Bei der Ausführung des Gemäldes, die sich bis 1824 hinzieht, verzichtet Wächter auf dieses erzählerische Moment. Unruhe im Hintergrund hätte die Wirkung des einsamen Dulders beeinträchtigt.
Belisar und Hiob, zwei alte weise Männer – in einer Studie verbunden
Eberhard Wächter, Studie zum Hiob, um 1797, Schwarze Kreide, weiß gehöht, 43,3 x 42,8 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv. Nr. 74, Foto Museum
In diesem Kompositionsausschnitt mit dem „Denker“ unter den Freunden Hiobs und seinem jugendlichen Begleiter findet sich eine Querverbindung zum Belisar. Der Profilkopf links ist eine Studie zu dem links Stehenden, der betroffen auf den blinden Bettler blickt.
Hiob in der Sammlung Uexküll
Eberhard Wächter, Hiob und seine Freunde, 1797, Kreidevorzeichnung, braune Tusche, weiß gehöht, 49,5 x 67,5 cm, Kunsthalle Karlsruhe, Sammlung Uexküll, Foto Museum
Fertiggestellt im Mai 1797 in Rom, erworben im Jahr darauf von Karl Friedrich Emich Freiherr von Uexküll (1755-1832), einem Freund und Gönner des oft notleidenden Künstlers. Die Muskelpracht bei den Freunden in der ersten großen Federzeichnung ist reduziert. Hiob hat auf dem Stroh seine endgültige, noch stärker in sich gekehrte Haltung gefunden. Die Örtlichkeit gleicht einem Verlies aus mächtigen Steinquadern, womit Wächter die scheinbare Gottesferne andeutet. Diese Kargheit und Strenge mildert er später in der Überarbeitung des Gemäldes ab zugunsten einer orientalisch gestimmten Architektur mit schmalem Himmelsstreifen.
Die Uexküll‘sche Komposition hat Carl Heinrich Rahl (1779-1843) in einer Umrissradierung bekannt gemacht: Morgenblatt für gebildete Stände, 20. Mai 1807, S. 480.
Wächters Hauptwerk
Eberhard Wächter, Hiob und seine Freunde, 1793/94-1824, Öl auf Leinwand, 194,6 x 274,5 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Inv.Nr. 658, Foto Museum
Bez. u. l. auf der Steinbank „Job. Cap.1“ und o. r. in hebräischer Schrift: “Der Name des Herrn sei gelobt.“
Vollendet wird das Gemälde als ein Hauptwerk des Schwäbischen Klassizismus erst 1824 nach rund 30 Jahren. Einfache architektonische Flächen schaffen eine ruhige Folie für das einwöchige wortlose Zusammensein. Hiob ist stärker gekrümmt und in sich zusammengesunken als anfangs geplant. Wächter geht es um seine Gottergebenheit und Würde. Gut kann man sich daneben eine gleich große Darstellung des Belisar vorstellen. Jeweils innere und auch äußerlich sichtbare Haltung im größten Elend. Einmal ein Thema des Alten Testaments, das andere Mal die Szene einer Legende um einen byzantinischen Feldherrn. Mehr zu dem Thema BELISAR UND HIOB – ZWEI ALTE WEISE MÄNNER in den zwei nächsten Beiträgen: Belisar, ein Held und Bettler und Eberhard Wächter, Belisar.