König-Karls-Brücke und die Figur des „Handels“ auf der Suche nach einem ihr angemessenen Ort. Den sollte sie am besten zusammen mit ihrem Pendant, der malträtierten „Macht“, finden.
Die allseits gerühmte König-Karls-Brücke wurde nur gut 50 Jahre alt. Im Zweiten Weltkrieg fiel sie nicht etwa Bomben zum Opfer. Sie wurde am 22. April 1945, kurz vor der Kapitulation, von deutschen Truppen gesprengt. Damit sollte der Vormarsch der Alliierten verzögert werden.
Eine ebenso heillose Tat begingen Deutsche zuvor auch in Florenz. Sie zerstörten alle Arno-Brücken – bis auf eine. Beim Zugang zum Ponte Vecchio legten sie Bauten des 14. bis 16. Jh. in Schutt und Asche. Damit hofften sie, die Amerikaner aufhalten zu können. Natürlich mit gleich geringem Erfolg wie in Stuttgart.
Für den Stuttgarter Brückenkopf schuf Adolf Fremd 1893 im Auftrag von Karl von Leibbrand die allegorischen Figuren des „Handels“ und der „Macht“ (auch „Wehrkraft“ und „Wehrstand“ genannt). Ausgeführt wurden sie zunächst, wie hier zu sehen, als Gipsmodelle. An deren Stelle traten in den Jahren 1900 und 1901 die etwas veränderten Fassungen in Kelheimer Kalkstein, der auch als „Bayerischer Marmor“ bekannt ist.
Die Sprengung der Brücke am 22. April 1945 erfolgte wohl auf ihrer Cannstatter Hälfte. Daher sind auf dem Foto des gleichen Jahres noch die intakten Pylonen am Stuttgarter Ufer zu sehen (Robert Poebel 1945, BAW Medienarchiv – Bundesanstalt für Wasserbau). Mit ihnen überlebten auch die dortigen Standbilder. Im Zuge der Trümmerbeseitigung und des Abbruchs der Brücke wurden die beiden Skulpturen im Cannstatter Steinbruch der Firma Lauster deponiert.
Trennung von Handel und Macht
Ihre Rückkehr in die Öffentlichkeit in den 1970er Jahren führte zu ihrer Trennung. Obgleich für Sockel und Untersicht konzipiert, fanden sie eine ebenerdige Aufstellung bei den Mineralbädern bzw. bei der Unterführung der Brücke auf der Cannstatter Neckarseite.
Gemäß „Ladies first“ widme ich mich zunächst dem „Handel“ und im nächsten Beitrag der „Macht“.
Bei seiner ersten Konzeption des „Handels“ sah Adolf Fremd in der allegorischen Figur eine Art schwäbische Schwester von Hermes bzw. Merkur (merces = lateinisch: Waren). Dieser Gott der Reisenden, der Kaufleute und Diebe (schon in der Antike manchmal einander nah verwandt) hat im Jahr 1580 in Florenz seine unüberbietbare Form gefunden: in der Bronzestatue des Giambologna (1529-1608), hier das Exemplar des Louvre in Paris. 1862 wurde die Statue von Ludwig Hofer (1801-1887) für die wirtschaftlich aufblühende Stadt Stuttgart kopiert und hoch oben auf der ehem. Wassersäule neben der Alten Kanzlei platziert.
Giambolognas Götterbote und Gott des Handels wird vom Windgott Zephir emporgeblasen. Seine Flügel am Hut und an den Fersen schenken ihm einen leichten, schwerelosen Flug. In der Linken hält er als Symbol für den Handel den Caduceus, den Merkurstab, an dem sich überkreuz zwei Schlangen winden; darüber zwei Flügel.
Der weibliche Handel
Erstmals sieht man hier die beiden Fassungen Adolf Fremds im direkten Vergleich. Sein „Handel“ ist weiblich und im Gipsmodell weitgehend entblößt. Die Allegorie trägt einen Flügelhut wie Merkur. Dieses Sinnbild der Bewegung, das noch verstärkt wird durch den windgeblähten Umhang, ist eine Anspielung auf die Weite des Handels. Dessen Art in Stuttgart mit Schiffstransporten auf dem Neckar wird durch den Anker verdeutlicht, auf dem die Linke ruht. Was die Gipsfigur in ihrer Rechten hält, ist nicht genau auszumachen.
Adolf Fremd, Figur des „Handels“, Kelheimer Kalkstein, ca. 2,95 m hoch, auf der Plinthe rechts mit „FREMD“ signiert. Aufgestellt im März 1900 auf einem 2,15 m hohen Postament vor dem linken Pylon auf der Stuttgarter Brückenseite. Heute ist die Skulptur etwas unvermittelt bei der U-Bahn-Haltestelle Mineralbäder zu finden. Sockellos, quasi wie bei einem Zwischenhalt abgestellt und vergessen. Ursprüngliche Gesamthöhe mit Sockel gut 5 m.
Kolossale Dimension und zarte Empfindung
Die Gestalt sitzt raumgreifend und groß auf einem festgeschnürten Ballen. Die Verwitterungsspuren verleihen ihr ein besonderes Flair. Bei der Ausführung seines Werks in Stein hatte Fremd wohl die Stuttgarter Sittenstrenge zu berücksichtigen. Nacktheit ist kein Thema mehr, auch fehlt der Merkurhut, der durch einen Blätterkranz ersetzt ist. Die leere Rechte hielt ursprünglich einen Merkurstab, der die Verweise auf den Gott der Antike beim Gipsmodell ersetzte.
Dazu die Schwäbische Kronik, Nr. 127, 17. März 1900: „Dem gegenüber [= „Landwirtschaft“] bringt die links auf der Stuttgarter Seite aufgestellte weibliche Figur, welche die linke Hand kräftig auf den Anker stützt, während die Rechte den Merkuriusstab umschließt, durch die energischere Bewegung des Körpers und die fliegende Gewandung das Entschlossene und Zielbewußte des Handels und Verkehrs, dessen Personifikation sie ist, zum vollendeten Ausdruck. Erweckt so die Betrachtung dieser beiden, vom Bildhauer Fremd hier ausgeführten Meisterwerke ungeteilte Bewunderung und die Empfindung, daß sie in glücklichster Weise ihren Zweck erfüllen, … “ Vgl. auch Stuttgarter Neues Tagblatt, Nr. 63, 16. März 1900. Jeweils wird das Fehlen der Mannsbilder beanstandet.
Auch dieses Foto macht deutlich, dass die Skulptur auf einem hohen Sockel eine gänzlich andere Wirkung erzielen würde.
Nahansichten
Skulpturen solcher Dimension sollte man nicht auf Augenhöhe begegnen. Sie benötigen einen deutlich erhöhten Standort. Auch ist die Ausführung nicht auf Nahsicht berechnet. Deshalb versuchte ich im folgenden einige Fotos „aus der Froschperspektive“ zu machen. So kommt man der Schönheit der Gestalt näher.
Das etwas elegische Gesicht des „Handels“ entspricht ganz dem Schönheitsideal um 1900 mit den feinen Zügen und dem leicht verhangenen Augenausdruck.
Aus diesem Blickwinkel ist der „Handel“ kaum mehr eine Allegorie, sondern eine schöne junge Frau um 1900, die sich bei widrigem Wetter den Mantelkragen hochschlägt.
Eine bedauernswerte Sehens-Würdigkeit
Hat die allegorische Gestalt nicht durch bessere Aufstellung eine andere Würdigung verdient als während der letzten Jahrzehnte?!