Ein Traumpferd von 1790/91. Da es zuletzt um Kriegserlebnisse vor gut 200 Jahren ging, möchte ich vor der erneuten Beschäftigung mit der Schönheit von Vollblutarabern, die besonders jungen Frauen am Herzen liegt, hier ein gruselig-großartiges Intermezzo etwas älteren Datums platzieren.

Im Goethe-Haus ist ein Traumpferd oder Pferdephantom zu erleben. Man kann es schrecklich, gespenstisch, faszinierend oder alles in einem finden. Erdacht und gemalt hat es Johann Heinrich Füssli (1741-1825). Geboren in Zürich, von Italien geformt, in England seit 1779 zuhause und dort auch genannt „The Wild Swiss“.

Das Pferd dringt dämonisch hervor aus dem Dunkel raumhoher Vorhänge, gleißend hell, mit aufgerissenen blinden, milchigen Kugelaugen. Aufgeblähte Nüstern deuten auf Erregung. Seinen Atem glaubt man zu spüren. Die Ohren sind hoch gestellt. Die Mähne ist wie sturmbewegt. Eine fesselnde Schreckensvision. Ein Spuk im Stil einer Gothic Novel?

Ein Traumpferd von 1790/91: Füsslis Nachtmahr im Goethe-Haus zu Frankfurt/M

Johann Heinrich Füssli, Der Nachtmahr, 1790/91, Öl auf Leinwand, 75 x 64 cm, Frankfurt am Main, Goethe-Haus

Das Bild im ganzen steigert den Schrecken. Gestalten eines Albtraums treffen auf junge weibliche Schönheit. Sinnlichkeit verbindet sich mit Grauen. So, als seien hier Gesellen von Vampiren zu Gast. Ein Kobold, ein Gnom, ein zotteliges Wesen mit spitzen Ohren und fiesem Lächeln, hockt schwer und affenartig auf dem Brustkorb einer jungen Frau. Sie ist mit einem dünnen Nachtgewand bekleidet, das ihre Formen umschmeichelt. Hoch winkelt sie ein Bein an, ihre Füße liegen überkreuz. 

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Ein kleiner Tod?

Ein Traumpferd von 1790/91: Füsslis Nachtmahr im Goethe-Haus zu Frankfurt/M

Wie bei einem kleinen Tod fallen Kopf und Arme von der Bettkante nach unten. Und das weiße Pferd, das kein irdischer Schimmel ist, dürfte in der Bildmitte als fahler Zeuge und Hauptanlass des Grauens wohl ein Symbol männlicher Gier und Potenz sein. 

Die Art der Darstellung und das Unerklärbare dieser einmaligen Bildidee Füsslis, von der er mehrere Varianten schuf, löst zur Entstehungszeit einen Skandal aus. Berühmt und rätselhaft als Ausdruck von Schreckenslust, von lustvollen Angstzuständen, ist das Werk bis heute.

Auf seiner Schweizer Reise von 1797 vermerkt Goethe in seinem Tagebuch am 9. August u.a. zu Füssli (zit. nach Christoph Becker, Ausst. Kat. J. H. Füssli, Das Verlorene Paradies, Staatsgalerie Stuttgart, 1997, S. 136):

„Mädchen in gewissen Formen. Lage. Wollüstige Hingelegenheit, Wirkung Shakespeares, des Jahrhunderts, Englands. Miltonische Gallerie.“ – Ein Bezugsknäuel, dem nachzugehen mit diesem Bild vor Augen ein Vergnügen sein dürfte.

Ein Traumpferd von 1790/91: das war einer der Höhepunkte eines spontanen Besuchs des Goethe-Hauses nach Jahren.