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Reiterfest/Caroussel 1846 – Eröffnung II mit Ansichten des Reithauses von Christian Friedrich Leins.
Die Mappe der Landesbibliothek
Die Württembergische Landesbibliothek, Abteilung Alte und Wertvolle Drucke, birgt eine große und kostbare Mappe. Auf dem Aufkleber steht: „Abbildungen von dem Carousel am 27ten October 1846 zur Feyer der Vermählung von Königlicher Hoheit des Kronprinzen [Karl]“.
Ein Reiterspiel wird zur festlichen Begrüßung von Großfürstin Olga und Kronprinz Karl bald nach ihrer Ankunft in Stuttgart inszeniert. Im Kgl. Reithaus gibt es eine freundschaftliche Begegnung von „Kreuzrittern“ und „Sarazenen“. Bei den Darstellern handelt es sich vorwiegend um jüngere, kostümierte Angehörige des Hofes, um Militärs und Mitglieder befreundeter Adelsfamilien.
Die Schwäbische Kronik würdigt am 29. Oktober 1846 das Ereignis. Sie konstatiert: „Das glänzende und höchst gelungene Ganze konnte nur durch die edeln Pferde, um deren willen der Königl. Marstall und Leibstall vor vielen anderen berühmt ist, ausgeführt werden.“
Titelblatt und erste Bildtafeln
Zur Erinnerung an das Reiterfest entsteht besagte Mappe mit 28 losen Bildtafeln. Sie sind nicht nummeriert. Ihr Format beträgt 50 x 74,3 cm, das der Lithographien 34 x ca. 46 cm. Zur Schonung sind die Bildtafeln getrennt durch dünne Papierbogen mit den Namen der Dargestellten. Ich zitiere sie in damaliger Weise, unter Verzicht auf die Anredeformen. Die Tafelfolge entspricht meist den Etappen des Festes. Ich schließe mich der Nummerierung der Faksimile-Ausgabe von 1985 an. Der Ablauf des Festes im einzelnen erschließt sich aus der sechsseitigen Beschreibung von Friedrich Wilhelm Hackländer. Sie ist auf drei Blättern der Mappe beigefügt.
Dass eine solche Festlichkeit in Stuttgart überhaupt stattfinden kann, erklärt sich auch aus einem Kommentar von Theodor Heinze, Kgl. sächsischer Bereiter und besonderer Pferdekenner (Waiditschka 2017, 129). Im gleichen Jahr 1846 hält Heinze bei einem Besuch von Stuttgart fest: „Der Leib- und Marstall des Königs von Württemberg ist einer der schönsten und wohl der reichste, den ich je gesehen habe; bei der Ansicht dieser Ställe glaubt man sich in den Orient versetzt, denn überall, wohin das Auge schweift, bemerkt es nur die hochedlen Gestalten und Formen des rein arabischen Bluts.“
Morgenland und Abendland in den Trophäen
Tafel 1: Die Rahmung präsentiert Olga und Karl in Medaillons, eingefasst von Trophäen. Links sind überwiegend Waffen orientalischer Herkunft dekorativ angeordnet, überhöht von einer württembergischen Fahne. Rechts finden sich westliche Waffen, darunter Helm, Schild und Schwerter. In der Mitte sieht man in romantischer Mondnacht das bereits gezeigte Reithaus vor der Eröffnung des Caroussels. Gezeichnet ist dieses erste Bild von Christian Friedrich Leins, wie auch das nächste. Der junge Architekt wird bald für die Neuvermählten die Villa Berg erbauen.
Lage und Inneres des Reithauses
Tafel 2: „Arabisches Lager“ im Reithaus auf der Seite des Leibstalles, gezeichnet von C. F. Leins. Wen Giovanni Saluccis Architektur interessiert, den verweise ich auf die Beiträge zum Reithaus. Im Innenraum fallen als damals modernes Element 40 Säulen und Balustraden aus Gusseisen auf. Sie stammen wie der umlaufende Balkon des Schlösschens Weil aus dem Hüttenwerk Wasseralfingen.
Lager der Morgenländer vor einer Art Wilhelma-Architektur
Tafel 2, Ausschnitt: Dazu Hackländer 1846 (von dem auch die künftigen Zitate stammen): „Lager der Morgenländer … Ein verfallenes maurisches Schloss …, von dem ein einziger Thorbogen unversehrt stand, der, wie aus gelbem Stein gebaut, mit blau glacierten Ziegelverzierungen und zackigen Zinnen aus der übrigen Ruine hervorglänzte. Dieselbe war mit Schlingpflanzen aller Art überwachsen und bedeckt, und ringsumher standen grosse schlanke Palmen, Bananen mit den breiten üppigen Blättern und wilde dunkelglühende Rosen neben dichten Orangenbäumen. In dem Lagerraum der Saracenen befand sich ein kleiner mit Gebüschen bewachsener Hügel, auf welchem die Musik derselben stand. Gegenüber war eine andere Erhöhung, die mit kostbaren Teppichen bedeckt war und auf welcher der Fürst des Morgenlandes seinen Sitz nehmen sollte …“
Leider gibt es keine Illustration vom „Lager der Abendländer“ auf der gegenüberliegenden Schmalseite des Reithauses. Hackländer beschreibt es immerhin. Auf der Tribüne darüber sitzen König Wilhelm mit Schwiegertochter Olga, seine Familie und die wichtigsten Gäste.
Eine Belastung und Verständnis für die Pferde
Vor der eigentlichen Beschreibung des Festes schiebt Hackländer folgendes ein: „Wir sagen nichts … von den unendlichen Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, um die schönen edlen Pferde an die engverschlungenen Touren zu gewöhnen, nichts von der besonders peinlichen Aufgabe, das Pferd, welches dem geübten Reiter bei‘m Tageslicht ohne Musik willig folgt, später durch die rauschenden Töne der beiden Musikchöre und im Glanze von tausenden von Lichtern, aufgeregt, wie es ist, widerspenstig und ängstlich, richtig zu lenken.“