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Reiterfest/Caroussel 1846 – Eröffnung I. Zur festlichen Begrüßung von Großfürstin Olga und Kronprinz Karl findet eine aufwendige Veranstaltung im Kgl. Reithaus statt. Gott und die Welt, Hof und Höflinge, hoher und niedriger Adel, sowie zahllose Gäste versammeln sich, um einer Begegnung von Orient und Okzident beizuwohnen.
Obige Szene spielt im Orient, im Heiligen Land. Man erlebt einen scheinbar schrecklichen Reiterkampf zwischen Christen und Muslimen, zwischen Kreuzrittern und Sarazenen. Doch alles ist nur ein Reiterspiel, ein Freundschaftsturnier und Kostümfest im Stil einer romantisch verklärten Welt des Mittelalters. Es wird 1846 in Stuttgart an der Neckarstraße aufgeführt.
Dabei geht es wohl auch darum, mit einer Besonderheit – heute: Alleinstellungsmerkmal – etwas zu punkten vor der russischen Kaiserlichen Hoheit. Die Rede ist von dem in Europa einmaligen Bestand an Arabischem Vollblut. Stolz kann das Königshaus damit bella figura im bescheidenen Württemberg und seiner überschaubaren Residenzstadt vor der jungen Schwiegertochter machen. Denn Großfürstin Olga Nikolajewna Romanowa ist bisher einen ganz anderen Lebensstil gewöhnt. Das Zarenreich und St. Petersburg wirken neben den württembergischen Verhältnissen einfach nur überwältigend in ihren Dimensionen. Das gilt ebenso für die russischen Schlossanlagen und die enormen Finanzmittel des Landes.
In Stuttgart soll es deshalb wenigstens einen großen Auftritt mit der Kgl. Araberpracht geben, die ihresgleichen sucht. Das kann im Grunde jedes andere Herrscherhaus der damaligen Welt nur mit Bewunderung erfüllen oder auch etwas Neid.
Bildtafeln zur Erinnerung an das Reiterfest
Bei obigem Bild handelt sich um eine Szene aus einer großen Mappe in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. In ihr sind 28 Lithographien vereint. Alle sind handkoloriert. Deshalb unterscheiden sich die wenigen bekannten Mappenwerke jeweils leicht voneinander. In gewissem Sinne sind sie Unikate. Das Stuttgarter Exemplar, das ich hier komplett vorstellen kann, ist insgesamt in etwas helleren Tönen gehalten als jenes, das 1985 als Faksimile erschienen ist. Auch sind Nebenfiguren und Hintergründe in Stuttgart oft als reine Zeichnung belassen.
Detail von der gleichen Bildtafel wie zuvor, jedoch Wiedergabe nach dem Faksimile von 1985. Die Kolorierung der Lithographien durch verschiedene Hände führt bei den einzelnen Mappen zu leicht unterschiedlicher Wirkung. Hier sind die Farben, vor allem bei den Hintergründen, etwas kräftiger. Qualitätsunterschiede gibt es zwischen den Fassungen nicht, nur leichte Stimmungsdifferenzen, je nach Temperament der Ausführung.
Wenn nicht anders vermerkt, stammen die folgenden Bilder vom Exemplar der Landesbibliothek.
Anlass und Andrang – Newa und Nesenbach
Am 13. Juli 1846 vermählen sich im Schloss Peterhof bei St. Petersburg Kronprinz Karl von Württemberg (1823-1891) und Großfürstin Olga Nikolajewna (1822-1892). Am 23. September zieht das Paar umjubelt in Stuttgart ein. Und am 27. Oktober findet zu Ehren der Zarentochter im Kgl. Reithaus ein großes Fest für Reiter, Pferde und rund 1000 Zuschauer statt. Im Stil der Zeit wird es „Caroussel“ genannt. Die Erinnerung an das Reiterspiel überdauert dank einer großen Mappe. 28 Bilder geben einzelne Momente des Abends wieder. Sie werden durch einen beigefügten Bericht von Friedrich Wilhelm Hackländer noch anschaulicher. Er findet als erfahrener Reiter, Hofrat und Schriftsteller die richtigen Worte.
Hackländer schreibt zu dieser Szene: „Weit in die Nacht hinaus flammten die vielen grossen, rundbogigen Fenster des Reithauses, die Fackeln und Pechpfannen vor den Eingängen, die Laternen der ab- und zuströmenden Equipagen.“ Die Darstellung ist ein Ausschnitt aus Tafel 1. Der junge Architekt Christian Friedrich Leins (1814-1892) verwandelt die Realität an der Neckarstraße in einen weiten nächtlichen Phantasieraum. Erkennbar sind Carlsakademie und Gedächtniskirche im Hintergrund.
Friedrich Wilhelm Hackländer
Tafel 27 nach Exemplar WLB.
Dies ist kein wilder Beduine oder Sarazene. Er tut nur so mit seinem Gefolge. Obgleich es sich mit Tafel 27 um die letzte Einzeldarstellung von Reitern und Pferden in der Mappe „Das Caroussel“ handelt, stelle ich diesen Mann an den Anfang. Man sieht Friedrich Wilhelm Hackländer (1816-1877). Er war 1840/41 mit Freiherr Wilhelm von Taubenheim, Kammerherr und Oberst-Stallmeister des Königs, auf einer Orientreise. Exquisite Vollblutaraber sollten erworben werden. Bei dieser Tour durch die Wüste kam Taubenheim die Idee eines solchen Reiterfestes. Man nennt es „Caroussel“, aber auch Festspiel, Ringspiel oder Reiterfest. Erstmals findet es am 21. November 1845 statt. Und sogar unter Mitwirkung von König Wilhelm, der damals bereits fast Mitte 60 ist. Anlass gibt die Vermählung seiner Tochter Katharina mit Prinz Friedrich von Württemberg (Tafel 19).
Warum steht hier nicht Taubenheim (Tafel 8) am Anfang, sondern sein Begleiter und Freund Hackländer? Es geschieht, weil dieser der Berichterstatter des Reiterspiels ist. Ihm verdanken wir die Details seines Ablaufs. Zugleich ist Hackländer einer der Mitwirkenden als Sarazene und Anführer „einer Schaar Beduinen zu Pferd, die Arrieregard bildend“.
Tafel 27 nach Faksimile 1985.
Faksimile von 1985 und Hackländer
An Hackländers Beschreibung des Caroussels orientiert sich meine Bilderfolge. Und zugleich an der Faksimile-Ausgabe der Mappe durch den RMS-Landskrone-Verlag, Zug 1985. Die Maße der Tafeln sind dort gegenüber dem Original auf 47 x 60 cm reduziert. Die Bildfelder bleiben natürlich originalgroß. Den Tafeln ist ein Begleitheft beigefügt. Es enthält eine illustrierte Dokumentation in deutsch, englisch und arabisch. Das Vorwort stammt von Carl Herzog von Württemberg und ist jeweils von ihm handsigniert. Meine Informationen zu den Dargestellten basieren z. T. auf den biographischen Daten des Begleitheftes von 1985.
Der bald als Schriftsteller sehr erfolgreiche Hackländer kommt aus Aachen. Seit 1840 ist er in Stuttgart, wird 1843 Hofrat und Sekretär sowie Reisebegleiter des Kronprinzen. Zuvor unternimmt er 1840/41 mit Taubenheim die erwähnte Orientreise. Auf dessen Bitten, der auf der Rückreise länger in Italien bleiben will, bringt Hackländer von Genua „Pferde der seltensten Raçe und Schönheit“ nach Stuttgart. Darüber berichtet er bereits kurz nach seiner Rückkunft 1841 im „Morgenblatt für gebildete Leser“ und ab 1842 auch in Buchform, und zwar so ansprechend, dass es zu mehreren Auflagen kommt.
Auf gleiche Weise beschreibt er auf wenigen, nicht paginierten Seiten, die den Lithographien des „Caroussel“ beigegeben sind, den Verlauf des Reiterfestes. Seine Schilderungen ergänzen die Bilder und diese illustrieren seine Worte.