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Gestüt Scharnhausen – Unruhe unter Vollblutarabern: auf der Koppel wie im Gehöft, dargestellt 1832 und 1844 von Albrecht Adam und Otto Stotz.
Dieser Beitrag ist ein Nachtrag zu Scharnhausen. Denn die Neuaufnahmen sind mir erst nachträglich zugegangen. Der Rang der Ölgemälde im Sektor Pferdemalerei rechtfertigt die Einzelbetrachtung. Beide Bilder befinden sich in Privatbesitz. Von dort stammen auch die Fotos.
SULTAN MAHMUD in einer Stutenherde
Albrecht Adam (Nördlingen 1786-1862 München) zeigt einen Vorfall bei Scharnhausen. Das Bild hat er links unten signiert: AAdam 1832. Der Ausschnitt zeigt den berühmten, vom Künstler mehrfach dargestellten und auch hier öfters präsentierten Hengst SULTAN MAHMUD. Er ist leicht zu identifizieren dank seines Brandzeichens und seiner ungewöhnlichen Größe. SULTAN MAHMUD ist in eine Herde von Stuten gestürmt und löst entsprechende Unruhe aus. Drei Mann versuchen Schlimmeres zu verhindern.
Adam ist ein hochbegabter und sehr geschätzter Darsteller von Pferden. Das gilt für Zeichnung wie Malerei und vor allem für das Pferdeporträt. Von 1829 an arbeitet er eine Zeit lang für König Wilhelm. Besonders berühmt sind seine 1829-32 erscheinenden 24 „Bildnisse vorzüglicher Pferde aus dem Marstall und den Privatgestüten S. M. Kg. Wilhelm …“, die sein Sohn Franz lithographiert hat. Darin und ebenso in seinen Gemälden weiß Adam die Eigenart und Schönheit, das lebhafte Temperament und den noblen Charakter der Vollblutaraber trefflich wiederzugeben.
Neben dem viel diskutierten Atlasschimmel SULTAN MAHMUD sind noch zwei herausragende Stuten auf dem Gemälde zu erkennen. Und zwar deshalb, weil Adam sie auch in seinen „Bildnissen …“ dargestellt hat (vgl. Waiditschka 2017, 79, 83 [Abb. seitenverkehrt] und 199). Links sieht man in fast schwebendem Lauf die Kohlfuchsstute BANKA I 1823 (Detail in Beitrag 47) und rechts davonsprengend die Rappstute CZEBESCIE II (Waiditschka 2017, 78 und 197).
Adam schildert ein unliebsames Ereignis
Sieht man genauer hin, erzählt das Gemälde eine kleine Geschichte. Sie erschließt sich aus Bilddetails.
Es ist früh am Morgen, was an den langen Schatten zu erkennen ist. Auf einer Koppel oberhalb des Schlösschens Scharnhausen weiden Stuten und Fohlen. Ein Pferdewärter hatte mit SULTAN MAHMUD zu tun. Da reagiert plötzlich der Hengst auf die Nähe der Stuten. Er reißt sich los und stürmt zur Koppel. Beim ungestümen Überspringen ihres Zugangs geht der obere Querbalken zu Bruch. Dort sieht man den Pferdewärter nun eilends darüber steigen. Ein Begleiter ist ihm voraus und bereits auf der Koppel, weil er mit seinem Fuchs dem ausgerissenen Hengst schneller folgen konnte. Der Reiter ist abgesprungen und schwenkt im Lauf seinen Hut. Rechts rennt laut rufend ein Pferdeknecht mit Peitsche heran. – Den Fortgang der Geschichte kann jeder sich selbst ausmalen.
Bei noch genauerem Hinsehen erkennt man den Grund für den Vorfall. SULTAN MAHMUD hat den Zügel zerrissen. Adam kann so etwas erlebt oder auch nur erdacht haben. Auf jeden Fall ist es ihm Anlass, in sehr lebendiger Weise die Vitalität der Vollblutaraber vor Augen zu stellen.
Das Ganze spielt auf den Fildern. Die schöne Weidefläche und auch der traumhafte Blick bis hin zur Schwäbischen Alb vermitteln den Eindruck von gutem Araberleben. Der Pferdespezialist Adam erweist sich auch als souveräner Darsteller der Landschaft. Das verwundert nicht, da er seine Laufbahn als Militärmaler und damit auch von Landschaften begonnen hatte. Mehrere Schlachten erlebte er bei den Befreiungskriegen. Und überdies nahm er an Napoleons Russlandfeldzug teil.
Eine schöne Fernsicht
Plan der Königl. Domänen …, Ausschnitt, nach: Hügel-Schmidt 1861.
Die Nummern bezeichnen: 14 = Schlösschen, 15 = Hofer Mühle, 16 = Fohlenstall, 17 = Stutenstall und 18 = Feimen. Die Anlage des Gestüts mit der großen ovalen Rennbahn in der Mitte bleibt unverändert bestehen bis in die 1960er Jahre. Erst dann füllt sich das Gelände wenig strukturiert mit landwirtschaftlichen Bauten. Dazwischen ragt noch eine Linde, die die Mitte der Rennbahn seit 200 Jahren bezeichnet.
Eine Wanderung auf der Hochfläche des Scharnhauser Parks führt am Südwestende zu einem Gelände, das sich in Richtung Schlösschen und Körschtal absenkt. Die Wegführungen sind noch weitgehend diejenigen des 19. Jh. Von dem kleinen Plätzchen, in das hier oben vier Wege einmünden, führt noch heute ein Hohlweg direkt zum Schlösschen hinab. Darüberhinaus geht ein Wanderweg parallel zur Hangkante nach Osten. Etwas unterhalb dieses Bereichs hat Adam sein Landschaftsmotiv gefunden. Noch immer ist die freie Rundsicht äußerst ansprechend. Doch verstellen heute Bäume und Häuser den damaligen Blick. Sonst hätte man noch die gleiche Fernsicht wie der Künstler vor knapp 190 Jahren. Der kegelförmige Berg am Albsaum dient aber weiterhin der Orientierung. Es handelt sich um den Hohenneuffen, neben dem links der Höhenzug der „Bassgeige“ zu erkennen ist.
Gestütshof in Scharnhausen
Nach dem Blick über das herrliche Land bei Scharnhausen wenden wir uns dem Gestüt im Tal der Körsch zu. 12 Jahre nach dem Bild des fremd gehenden SULTAN MAHMUD entsteht die Darstellung Gestütshof von Scharnhausen. Der Künstler ist Otto Stotz (1805-1873), ein aus Ludwigsburg stammender Pferdemaler und Lithograph, der von 1830 bis 1840 in Stuttgart tätig ist. Danach arbeitet er erfolgreich in Wien, aber, wie man sieht, auch noch für König Wilhelm.
Das Gemälde ist unten links signiert: Stotz pinxit 1844. Es zeigt, wie Pferdewärter drei wunderbare, unruhige Hengste zu 18 Stuten führen. Diese reagieren darauf in unterschiedlicher Weise zwischen Anspannung, Flucht oder auch Verteidigung. Die Örtlichkeit ist der Zugangsbereich des Gestütshofes zwischen Fohlenstall und Hofer Mühle.
Gudrun Waiditschka glaubt lt. mdl. Mitteilung, dass hier eher eine künstlerisch freie statt eine wirkliche Szene zu sehen ist. Denn eine Konfrontation dreier Hengste mit einer solchen Stutenzahl wäre kaum beherrschbar. Die prachtvolle Darbietung der edlen Vollblutaraber dürfte dem König gleichwohl sehr zugesagt haben.
Jenseits des Gedränges der Stuten zeigt das Bilddetail im Hintergrund den noch existierenden Stutenstall. Der Bau von Giovanni Salucci ist in seinen Formen von Stotz zwar leicht vereinfacht, zeigt aber eindeutig, dass in späterer Zeit Fassade und Dach verändert worden sind. Die Fenster stammen nicht wie beim Hengststall in Weil von einem Geschoss für das Gestütspersonal, sondern dienen noch heute der Belichtung des Stalles. Auf der Hangseite ist außen eine Boxenreihe hinzugefügt, sodass die ursprünglichen Fenster nun unter dem nach unten verlängerten Dach in den einzelnen Boxen zu finden sind.
Zum Abschluss noch die rechte Bildhälfte vom “Gestütshof in Scharnhausen“. Im Gegensatz zum Schimmel, den Waiditschka 2017, 130, für eine mögliche Darstellung von AMURATH I 1829 hält, sind die beiden anderen Hengste kaum zu zügeln. Und auch manche Stute reagiert mit Zeichen äußerster Erregung. Die Szene spielt sich vor der erhaltenen und so gut wie unveränderten Hofer Mühle ab, die damals der Veterinärarzt bewohnt.
Ergänzung 17. November 2020
Gudrun Waiditschka hat bei Facebook zur Untermauerung ihrer dort ähnlich wie hier lautenden Kommentare zu Stotz‘ Gemälde auf eigenhändige „Aufzeichnungen des Königs über die Privatgestüte“ im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E14 Büschel 18,2 aufmerksam gemacht. Im Jahr, als Stotz sein Bild malt, hält der König die Namen seiner Zuchtstuten in Scharnhausen fest, die nach der Geburt ihres Fohlens von einem der drei abgebildeten Hengste AMURATH I, MAZUD oder CHAM neu gedeckt wurden:
1844. Scharnhausen 1) Saaba Stuttenfohlen Mazoud …
Da nur diese drei Hengste benannt werden, sind sie es auch, die auf dem Gemälde erscheinen. Vorne sieht man den berühmten AMURATH I 1829, dahinter den Schwarzschimmel MAZUD 1838, gleichfalls ein Sohn von BAIRACTAR, und halblinks, sich ebenso aufbäumend, den Fuchshengst CHAM, der 1841 von einem Perser in Damaskus erworben wurde.
Zwei Jahre nach Entstehung des Bildes schreibt der Kgl. sächsische Bereiter und große Pferdekenner Theodor Heinze über
AMURATH (Waiditschka 2017, 130): „Schimmel. Hochedel und wunderschön, zeichnet sich auch durch ein vortreffliches Temperament und einen höchst gutmüthigen Charakter aus, welche kostbaren Eigenschaften auf seine sehr zahlreichen Nachkommen übergehen.“
MAZUD, *1838, wird 1844 bis 1848 als Deckhengst eingesetzt und dann verkauft.
CHAM Or. Ar. aus Syrien, seit 1841 in Stuttgart, beurteilt Prof. A. Rueff von Hohenheim 1864 so (a. a. O., 112 mit Abb.): „Fuchshengst, klein aber sehr edel und voll Geist und Leben, im Fußbau aber zu leicht, doch zeugte er sehr leistungsfähige, aber meist in der Arbeit diffizile Nachkommen.“ Und Heinze hebt 1844 an CHAM hervor (a. a. O., 130): er „ist durch seine wunderschönen Formen höchst bemerkenswerth. Auf der trocknen, sehnigen, ausgeprägten Muskulatur liegt das ganze Adernetz frei da, durch das seidene kurze Haar nur wie zum Schein bedeckt; den edeln Kopf mit dem höchst geistreich, kühnen und doch menschenfreundlichen Auge ist an dem wohl aufgesetzten Hals vortrefflich angepaßt. …“
Vielleicht darf ich für die Pferdefreunde noch ein paar weitere Details beitragen:
Auf dem Gemälde von Albrecht Adam ist neben dem „entlaufenen“ Sultan Mahmud noch ein weiteres Malheur passiert: das gesattelte Pferd hat sich seines Reiters entledigt und stürmt ebenfalls in die Weide – wie es ausschaut, ist auch dieses ein Hengst. Und vorne rechts, die Rappstute, die das Hündchen jagt, ist Czebessie, eine Original-Araber-Stute aus dem Orient importiert. Rappen waren im Orient sehr selten! Man erkennt sie leicht an ihrem Satteldruck (weiße Flecken). Ein ähnliches Bild der Stute gibt es von Albrecht Adam auch als Llithografie, ebenso wie von Banka, der Fuchsstute links außen mit Fohlen.
Bei dem Gemälde von Otto Stotz frage ich mich, ob diese Szene wirklich so stattgefunden haben kann. Vermutlich ist sie eher der Fantasie des Künstlers entsprungen. Zum einen wäre es wohl zu gefährlich mit drei Hengsten in eine Stutengruppe zu marschieren – und dazu noch mit zwei Hengsten von einer Person geführt (die Aufregung sieht man ja). Zum anderen war der Beschälstall in Weil. Dort standen die Hengste und dort wurde auch gedeckt. Die Stuten wurden nach Weil geführt (ca. 5 km) und wieder zurück nach Scharnhausen und es steht geschrieben, dass diese Bewegung der Fruchtbarkeit zugute kam. Und während im Vordergrund ganz richtig bemerkt der Hengst Amurath I 1829 abgebildet ist, ist der Fuchshengst im Hintergrund CHAM Or.Ar. – der König mochte zwar keine Füchse, aber bei einem Original-Araber hat er wohl eine Ausnahme gemacht ? Und der Dunkelschimmel ist Mazud 1838. Im Jahr 1844 (dem Entstehungsjahr des Gemäldes) waren nur diese drei Hengste bei den Vollblutaraberstuten im Einsatz.
Noch zwei weitere „Geschichten“ spielen sich auf diesem Bild von Stotz ab:
Zum einen finde ich es interessant, wie die Hengste geführt werden – mit Bauchgurt, der äußere Zügel einem Ausbinder ähnlich an diesem befestigt, geführt wird am inneren Zügel. Auf diese Weise kann ein Mann zwei Hengste (mehr oder weniger) führen.
Interessant ist auch der Fuchs (CHAM) im Hintergrund, dieser scheint (schon wieder, wir denken an das andere Bild mit SULTAN MAHMUD) frei gekommen zu sein, denn er hat kein Zaumzeug / Gebiss mehr, der Zügel hängt vom Bauchgurt nach unten, sein Wärter hängt verzweifelt mit einer Hand in der Mähne, mit der anderen am Gurt.
Einfach Klasse, was man auf diesen Gemälden alles entdecken kann!
Noch am 15.11. abends schrieb ich: Eine wunderbare Ergänzung, liebe Frau Waiditschka. CHAM ist dann der Hengst, den der Hofrat und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Hackländer etwas mühsam 1841 in mehreren Wochen von Genua nach Stuttgart gebracht hat. Im Zusammenhang mit dem Reiterspiel „Das Caroussel“ von 1846 komme ich bald darauf zu sprechen.